Jonathan Bree - Pre-code Hollywood

Lil' Chief / Cargo
VÖ: 14.04.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Ohren ohne Gesicht

Nein, vermutlich weiß respektive wusste Jonathan Bree nicht mehr als wir. Der Neuseeländer wird es schlicht für eine gute Idee gehalten haben, sich 2015 im Video zum umwerfenden Chamber-Pop-Groover "You're so cool" mit einem weißen Tuch über dem Gesicht zu anonymisieren. Für eine so gute, dass er samt Band auch die nachfolgenden Auftritte in diesem Outfit bestritt, das inzwischen längst sein Markenzeichen geworden ist. Die Maskenpflicht während der Pandemie wird Bree also locker auf einer Pobacke abgesessen haben, zumal er sich seinerzeit nicht einmal beim Plattensignieren am Merch-Stand zu erkennen gab. Denn was ist so eine Physiognomie schon gegen die preziöse, verhalten dramatische Musik, die er nun auf seinem bereits fünften Album perfektioniert? Nicht allzu viel – wenigstens nicht angesichts von "Pre-code Hollywood".

Es wirkt zunächst leicht behäbig, was der Gründer des Qualitätslabels Lil' Chief Records hier veranstaltet. Aber das war beim herrlichen "The cigarette duet", das er 2011 mit seiner künstlerischen Langzeitpartnerin Chelsea Nikkel alias Princess Chelsea hauchte, schließlich auch nicht anders. Außerdem schluchzten Streicher selten herzergreifender als zu Beginn des Openers "City baby", der mit geschmackvoller Besonnenheit circa The Divine Comedy und formvollendetem Crooning zu verzögert einsetzendem Orchester-Beat das nächtliche Stadtbild in roten Samt einpuschelt. Und obwohl sie sich ein wenig Zeit lässt, kann man vor der Eleganz dieser strahlenden Midtempo-Ballade nur den Mund-Nasen-Schutz ziehen. Zwar ist an Bree auch ein gediegener Elektro-Popper verlorengegangen – jedoch einer, der genug Stil hat, um nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.

Lieber erinnert er an graue Vorzeiten der Traumfabrik, in denen es nicht einmal theoretisch möglich war, dass ein schwarzer Oscar-Preisträger einen ebensolchen Laudator ohrfeigt. Oder singt distanziert über nur mehr matt funkelnde Beziehungsgeflechte und die Vergänglichkeit allen Seins – ein Thema, mit dem sich auch ein prominenter Gast auf "Pre-code Hollywood" allmählich befassen muss: Mit Hilfe von niemand Geringerem als Chic-Legende Nile Rodgers steckt Bree das Titelstück und "Miss you" in ein discoides, mit funky Gitarre behangenes Paillettengewand, während sich der 70-Jährige in letzterem Song zwirbelnd in die Höhe soliert und der Sänger Zwiesprache nach der Trennung hält. Mit Nikkel im Duett, versteht sich – das schönste, wenn auch oft verhinderte Indie-Pop-Traumpaar seit Julia Clark-Lewes und Simon Clayton von The Indelicates. Zauberhaft.

Doch Zweisamkeit ist hier ohnehin oft überbewertet. Wie bei "Destiny", wo der Dialog "'What's up?' – 'Not much. Talk?'" vergebliche Versuche erahnen lässt, den Liebeshimmel neu zu besternen. "You'll never kiss me like when we met", heißt es in einem Synth-Track mit dicker Sequenz – was schon die ganze traurige Geschichte erzählt. Doch mit einem Album wie diesem ist man gerne allein, wie Bree in "Epicurean" bekräftigt: "I am the king of this couch / Why waste time with someone else?" Dazu lässt er mit "We'll all be forgotten" eine new-wavige Elegie mit New-Order-Plöng aus den Boxen tröpfeln und wünscht sich im druckvollen Stampfer "Politics" einen Hund als Gesellschaft, ehe das "City baby" im hymnischen Finale "Steel and glass" wiederkehrt. So schließt sich der Kreis auf einem behutsamen, akzentuierten Meisterwerk, das vor allem eins nicht ist: gesichtslos.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • City baby
  • Pre-code Hollywood
  • Miss you
  • Politics

Tracklist

  1. City baby
  2. Pre-code Hollywood
  3. When we met
  4. Miss you
  5. We'll all be forgotten
  6. Epicurean
  7. Politics
  8. You are the man
  9. Destiny
  10. Steel and glass
Gesamtspielzeit: 39:28 min

Im Forum kommentieren

cargo

2023-04-28 08:01:48

Bree ist einer der besten Popsongschreiber und das zeigt er auch auf dem neuen Album wieder. Auf gleichem Niveau wie die Vorgänger.

Blanket_Skies

2023-04-27 14:51:55

Ich bin gespannt, bisher konnten mich immer nur vereinzelt Songs von ihm überzeugen.

Armin

2023-04-26 21:04:40- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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