Black Country, New Road - Live at Bush Hall
Ninja TuneVÖ: 24.03.2023
Unschuld und Bühne
Nein, es waren keine Lippenbekenntnisse. Immer wieder betonen Black Country, New Road den Kollektivgedanken ihrer Band, das Wachsen ihrer Songs als gemeinschaftlichen Prozess – und doch löste die Schrumpfung vom Septett zum Sextett im Jahr 2022 manche Bedenken aus. Quasi zeitgleich mit dem Release ihres monumentalen Zweitlings "Ants from up there" verkündete Sänger, Gitarrist und Texter Isaac Wood seinen Ausstieg aus der Band und riss damit eine Lücke ins Gefüge der Londoner. Denn bei aller Emphase auf die Gruppe bildeten Woods scharfe Erzählungen und brüchiger Vortrag doch ein wesentliches Merkmal im markanten Sound der Band. Black Country, New Road entschieden aber, im Sinne des zweiten Teils ihres Namens weiterzumachen – wie genau, musste zunächst offenbleiben. Der nun veröffentlichte Gig aus der Londoner Bush Hall, aufgenommen kurz vor Weihnachten 2022, abgemischt vom langjährigen PJ-Harvey-Kollaborateur John Parish und begleitet von einem Konzertfilm, liefert sehnsüchtig erwartete Antworten.
Das Album imponiert zunächst ob seines Mutes: Da muss sich eine Band neu erfinden, schottet sich jedoch nicht über Monate im Studio ab, sondern nimmt mit gänzlich neuem Material die Anfälligkeit auf der Bühne in Kauf. Auch wird Woods prominente Rolle nicht einfach neu besetzt, sondern aufgeteilt, wobei ausgerechnet Violinistin Georgia Ellery, die bei Jockstrap auch stimmlich für einige "Furore" sorgt, keinen Gesangspart übernimmt. Zu hören sind nun alternierend Bassistin Tyler Hyde, Pianistin May Kershaw und Saxofonist Lewis Evans. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich dieser experimentelle Ansatz als durchaus naheliegend im Band-Kosmos: Die fluidere, improvisatorische Atmosphäre der Bühne und die häufige Rotation am Mikro machen "Live at Bush Hall" nämlich umso stärker zum beeindruckenden Dokument einer Transformation.
Eine einprägsame Saxofon-Hook leitet den eröffnenden "Up song" ein, der sich schon bald in jenen überschwänglichen, vertrackten Barock-Pop entwickelt, mit dem Black Country, New Road ihrer Bewunderung der frühen Arcade Fire Tribut zollen. Hydes nervöses, fragiles Vibrato weist auch sogleich den Weg für die frischen Vocals der Band: Nicht virtuoser Gesang, sondern die emotive Kraft der Stimme soll im Zentrum stehen. Triumphal grinsend gibt gleich der erste Chorus des Albums das zentrale Thema zwischen Verlustängsten und stützender, freundschaftlicher Selbstvergewisserung vor: "Look at what we did together / BC, NR friends forever." Bald fällt auf, dass die Noise- und Drone-Elemente der Vergangenheit inzwischen vollkommen fehlen. Ruhiger, harmonischer, zugleich verletzlicher kommen die Songs in der Folge daher. Immer schwieriger gerät das Unterfangen, Black Country, New Road noch einem Genre zuzuordnen.
Die beiden von Evans gesungenen Stücke ("Across the pond friend" und "The wrong trousers") präsentieren sich als verhältnismäßig geerdeter Art-Pop – Evans klingt nach einer etwas holprigeren Version von Beiruts Zach Condon, wobei insbesondere die charmant-wackeligen Harmonien mit Hyde im Outro von "The wrong trousers" zu berühren wissen. Die Band scheint Wood nicht nur hier direkt zu adressieren: "I knew nothing of your feelings as such, but we made something to be proud of." Hyde übernimmt mit fünf Gesangsbeiträgen das Gros. "I won't always love you" beginnt als windschiefe Sinatra-Liebeskummer-Ballade, die sich alsbald mit post-rockigen Gitarrenfiguren und gequältem Saxofon noch weiter entblößt und in die Schwermut treiben lässt. "Dancers" formuliert vordergründig eine wunderbar komische Polemik gegen zeitgenössische Kunstinstallationen, wird aber spätestens mit dem reflexiven Twist der letzten Zeilen zu mehr: dem Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit, garniert mit dem hymnischsten Refrain des Albums.
Und dann wäre da noch May Kershaw, deren schwelgerisch-entrückte Stimme und zartes Klavier in die abseitigsten Gefilde der neuen Songs treiben. Zwischen Avantgarde-Exzentrikerinnen wie Joanna Newsom, mit der sich Kershaw zuletzt sehr ausgiebig beschäftigt hat, und Björk erzählt "The boy" eine allegorische Fabel über Rotkehlchen, Maulwürmer und Hirsche, inklusive mehrerer sprechend annoncierter Kapitel. Und "Turbines/Pigs" erweist sich in seinen zehn Minuten rasch als bisheriges Magnum Opus des Sextetts: Surreal-biblische Bilder ("Don't waste your pearls on me / I'm only a pig.") entführen in einen flirrenden Zauberwald eigenartiger und eigenartig berührender Melodien, bis sich eine majestätische Klimax auftürmt – nicht so massiv wie in den früheren Großtaten "Opus" und "Basketball shoes" zwar, aber ähnlich beeindruckend. Nicht alles hat sich also verändert bei Black Country, New Road: am wenigsten vielleicht der Wunsch, an der kreativen Dynamik dieser Band weiterhin teilhaben zu dürfen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- I won't always love you
- Turbines/Pigs
- Dancers
Tracklist
- Up song
- The boy
- I won’t always love you
- Across the pond friend
- Laughing song
- The wrong trousers
- Turbines/Pigs
- Dancers
- Up song (Reprise)
Im Forum kommentieren
maxlivno
2024-02-15 17:58:08
ich hoffe nicht, denn Isaac hat sich ja zurückgezogen, weil ihm die Öffentlichkeit seiner Person nicht gut tat. Vom Klang her ist „Bush Hall“ auch nicht weit weg von der „Ants“. War im Oktober beim Berlin-Gig, dort waren sie phänomenal und es gab 3 neue Songs, zwei von Georgia gesungen, auch klasse. Fehlen noch der Gitarrist und Drummer, dann singen alle (Backing Vocals mal ignoriert). Vom reinen Gesang her mag ich Tyler & Georgia auch mehr als Isaac und finde es schön drei/vier unterschiedliche Herangehensweisen an Texte in einer Band vereint zu sehen
Leech85
2024-02-15 17:41:36
Die Luft ist sowas von raus ohne Isac.
Hoffe echt der gibt mal ein Comeback!
sugar ray robinson
2024-02-15 17:08:52
Die Münchner dürfen sich freuen: BC, NR live am 21. Juni auf dem Dachauer Rathausplatz...
Armin
2023-04-12 20:34:44- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
dieDorit
2023-03-30 05:14:08
Ich muss mich erst noch an den neuen Gesang gewöhnen. Die klingen jetzt schon ganz anders als bisher.
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