Musa Dagh - No future

Hayk / Cargo
VÖ: 14.04.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Kreuz und quer

Aydo Abay. Was für ein Kerl. Mittlerweile braucht man ja eine ganze Pinnwand inklusive Bindfäden, wie in diesen US-Cop-Serien, um Schritt zu halten mit all seinen Projekten. Man würde dabei auch nicht weniger wahnsinnig aussehen als der Typ aus diesem Meme. Das Gute ist: Auch Musa Dagh kann man in der Linie großartiger Bands sehen, in denen Abay mitwirkt oder mitgewirkt hat. Das ist für die jeweiligen Mitstreiter Fluch und Segen, schließlich ist hier auch Aren Emirze an Bord, der mit Harmful ein tolles und wichtiges Kapitel deutschen Noise-Rocks schrieb und durchaus mehr als nur Fingerbadrücke hinterlässt. Für das zweite Album "No future" hat zudem Thomas Götz (Beatsteaks) den Trommlerplatz aufgrund anderer Verpflichtungen geräumt und Sascha Madsen (ratet) die Stöcke, die die Welt bedeuten, überlassen. Dessen Hauptband hört man jedoch weniger durch, was nicht überrascht.

Trotzdem muss man vor Abay den Hut ziehen, wie er einer Band seinen Stempel so unnachahmlich aufdrücken kann. Oft denkt man, dass dieser und jener Song doch eigentlich auch bei Blackmail damals hätte stattfinden können, nur um im direkten Vergleich mindestens genauso oft zuzugeben: nein, doch nicht. Was einfach an dieser so prägnanten Stimme liegt. Und vielleicht auch daran, dass Musa Dagh zwar einen klaren Emirze-Einschlag haben, aber im Prinzip ein bisschen was von allem probieren. Schon das selbstbetitelte Debüt stellte Noise-Ausbrüche neben The-Offspring-Zitate und auch "No future" reiht munter die Gegensätze aneinander. Da versinkt das mitreißende "Rhythm pigs (A.F.M.D.)" nach galoppierendem Tempo in dämonischen Growls, was albern und großartig zugleich ist, nur um wenig später die "Disarm"-Gedächtnisballade "0200 hours" als kleines Herzstück zuzulassen.

"No future" ist trotz allem sicher kein Album, das tiefgehenden Analysen standhält. Über Lyrics wie "Have a little faith when the stars forget to shine" oder "I don't even feel that sorry / I just wanna have some fun" werden sicher in naher Zukunft keine Thinkpieces veranstaltet. Auch die Neuordnung der Rockmusik muss noch warten. Was diese zehn Songs bieten, ist stattdessen eine Wagenladung Spaß, eine wilde Idee nach der anderen und ein Grinsen pro Durchlauf mehr. "VU" oder das Musikgeschichte zitierende "Your garden" sind solche Ohrwürmer, die sich nur noch ungern aus der Ohrmuschel verabschieden, während der druckvolle Refrain des Titeltracks in seiner Freizeit gerne Putz von den Wänden kloppt. Darauf trampelt dann noch Bernd Krutzke im Wutbrocken "Weekend warrior" rum, denn die Energie, die er als Beatsteaks-Gitarrist immer weniger ausleben kann, blökt er hier am Mikro einfach raus.

Im Gegensatz zum selbsbetitelten Album packt "No future" deutlich öfter die Keule aus, ohne dass die ruhigen Momente als Kontrast vergessen werden. Wie sich "Your garden" vom zuckersüßen Refrain zum motzigen Biest hin- und herverwandelt, ist ebenso großes Kino wie das zunehmende Nervöswerden des Openers "Bossanova USA". "No future" ist deshalb auch ein Stück besser als das Debüt, vielleicht sogar besser als Abays poppigerer Freindz-Ausflug "High times in Babylon". Auch wenn es zunächst vielleicht sogar unscheinbar wirkt – wie halt ein weiteres Abay-Album in gewohnter Qualität. Man muss wirklich aufpassen. Dass man die talentierten Mitstreiter drumrum nicht vergisst. Und dass man diesen Kerl nicht für selbstverständlich nimmt.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Rhythm pigs (A.F.M.D.)
  • No future
  • VU
  • Your garden

Tracklist

  1. Bossanova USA
  2. Rhythm pigs (A.F.M.D.)
  3. No future
  4. Algorithms & alcohol
  5. 0200 hours
  6. Congaah
  7. VU
  8. Weekend warrior
  9. Your garden
  10. Me two
Gesamtspielzeit: 34:32 min

Im Forum kommentieren

blackmarket

2023-05-30 14:09:14

Auch so eine - leider - bei Spotify im Grunde etwas unterbewertete Band (trotz der "alten Hasen") mit im Vergleich "wenig" monatlichen Hörern gemäß Spotify Stats.
Daher habe ich die großartigen Musa Dagh auf die sehr neue Playliste mit "Indie-Rock from Germany - Under Radar" hinzugefügt. Auf der Playliste finden sich natürlich noch weitaus weniger bekannte Neulinge und Künstler'innen, aber alle durchaus mindestens ein Ohr wert - und unbedingt live einen Besuch vor Ort.

Link zur Playlist hier: https://open.spotify.com/playlist/4O5FQnLJNNq8GMMJ68zHNQ?si=0fc4163f45fd4f61
Oder unter www.blackmarketplaylists.de schauen

(PS: Bitte keine "Hate" responses von wegen self-promotion usw., hier geht es allein um den Support von Bands/ Künstler*innen unter dem Radar, die es insbesondere in den vorigen Jahren verdammt schwer hatten).

Dan

2023-05-29 10:19:57

Ich glaube, Sachen wie Abay und Musa Dagh würden trotz Blackmail erscheinen, denn Aydo ist ja ziemlich fleißig und produktiv, was neue Musik angeht... Er meinte auch, dass 2 Alben von Abay schon fertig wären, aber durch den Tod von Guido Lucas noch auf Eis liegen. Habe das so verstanden, dass Lucas eine Art Mentor für ihn war...

Aydo's liebste Blackmail-Platte ist übrigens (momentan) die "Tempo Tempo"... ;)

foe

2023-05-28 10:29:35

Spannende Informationen rund um Aydo, danke. Würde mich sicher über eine Reunion-Tour von Blackmail freuen, bin rückblickend aber eigentlich ganz zufrieden über die Trennung. Ohne eine solche hätten wir ja vermutlich auf Abay, Musa Dagh etc. verzichten müssen. Die Idee einer „Werkschau“ gefällt mir sehr. Würde ich unbedingt besuchen wollen. Einzelne Blackmail-Songs haben Abay an ihren Konzerten jeweils gespielt. Erinnere mich an Same Sane und Amelia.

Robert G. Blume

2023-05-24 23:53:48

Komme gerade vom Tourabschluss in Berlin. Stand zu nahe an Arens Gitarrenverstärker und hab jetzt ein ganz schönes Sausen in den Ohren – hoffe, das legt sich wieder. Richtig fett war das.
Besucherzahlen und Reaktionen waren etwas mau. Ich weiß nicht, ob das in anderen Städten anders war, aber Aydo hat mehrmals bemängelt, dass das Publikum zu ruhig war. Ich weiß nicht, ob das an Berlin liegt, oder halt daran, dass Rockmusik nur noch alte Säcke wie mich zieht. Ansonsten aber ziemlich sympathisch. Beeindruckende Arbeit von Aren und Sascha an ihren Instrumenten. Thomas und Bernd von den Beatsteaks waren im Publikum, aber nicht auf der Bühne (Chance verpasst, Weekend Warrior mit letzterem aufzuführen, Aren hat seinen Part übernommen), auch Sebastian Madsen und Moses Schneider waren vor Ort.
Seltsamster Moment war, als Jan Schwarzkamp mitten im Konzert Aydo sein Handy entgegengestreckt hat, um ihn über den Tod von Tina Turner zu informieren, worauf der sichtlich geschockt reagiert hat. Hätte vielleicht auch noch bis nach dem Konzert warten können.

Dan

2023-05-24 15:32:21

Mir sind noch folgende Sachen eingefallen:

- Aydo plant für nächstes Jahr eine Art Werkschau-Konzert (zum 30ten? ), am besten mit Orchester, durch all seine Schaffensphasen. ;)

- Mit Abay haben sie wohl versucht, Sachen von Blackmail mit ins Liveset zu nehmen, hat aber nicht funktioniert. Es sei schwieriger als manche denken, den Sound von BM auf die Bühne zu bringen.

- Aren und Kurt hätten die gleiche "Energie", deswegen ist es wohl mit Musa Dagh auch so fruchtbar.

- Matthew Bellamy hat sie mal in Wien nach einem Konzert besucht und war voll des Lobes für Blackmail. :D

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