Blush Response - Neuroscape

Megastructure_ / Ready Made
VÖ: 04.04.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Stumpf ist Trumpf

Die Nerven nerven? Alter Witz, sorry. Aber selbst wenn die Antwort ja lauten sollte: Das ist gar nichts dagegen, was Joey Gonzalez alias Joey Blush alias Blush Response seit 2010 auf seinen Platten abfackelt. Natürlich ohne Schnittmenge mit Post-Punk oder gar Indie-Rock, sieht man von ein paar Remix-Arbeiten für Luis Vasquez' The Soft Moon ab, der zuletzt auf "Exister" aber auch merklich knarziger wurde. Nein, Blush Response bleibt auf dem circa achten Studioalbum – angesichts der wild durcheinanderschießenden Digital- und Vinyl-Releases von Vielveröffentlicher Gonzalez nicht immer ganz einfach zu bestimmen – eine elektronische Materialschlacht des Geistes, die der in Berlin lebende New Yorker zu allem entschlossen aus seinen bis an die analogen Zähne bewaffneten Geräten presst. Der Urahn heißt EBM, das Walzwerk Post-Industrial und der meist auf Pappe befindliche Schwippschwager Body-Techno. Und worum es sich bei dem bizarr mutierten Gebilde auf dem Cover handelt, möchte man lieber gar nicht wissen.

Neuerungen oder gar stilistische Volten finden sich auf "Neuroscape" ebenso wenig wie bei den Geistesverwandten Phase Fatale, Crystal Geometry oder Terence Fixmer. Es wirkt bereits bemerkenswert, wenn eingangs leibhaftige Vocals von Gonzalez höchstselbst zu hören sind – ein bedrohliches, durch die digitale Flüstertüte geschicktes Fauchen, das den Opener "Submit" in die Nähe der leicht räudigen nordamerikanischen Spielart von Electronic Body Music rückt. Bässe röhren, die nach vorne gemischte Snare zischt, Loops rotieren im Overdrive – die Ausweitung der Kampfzone Dancefloor läuft. Stumpf ist Trumpf im besten Sinne, wenn diese Musik so knochentrocken implodiert wie hier. Entsprechend ist das reizend betitelte "Watching yourself being born" keine schleimige Bluttransfusion durch die Nabelschnur, sondern ein sehniges Club-Monster mit verheißungsvoll knirschendem Mischorgan aus Zunge und Anus, das Kollege Adam X vermutlich auch gerne auf seinem Longplayer "Rüdersdorf acid tracks" gehabt hätte.

Inzwischen ist längst klar: Wer mit etwas ähnlichem wie einer feinen Klinge gerechnet hat, steht gehörig auf verlorenem Posten. Wohlfühlen kann man sich dort trotzdem – wie auf einer Tanzfläche, wo man viel rennen muss. "Locutus" lässt fortwährend vorwitzige Sequenzen aus dem Synthie sprenkeln und sprotzen und rollt mit einem unaufhaltsamen Distorto-Upbeat, der tumultöse Viereinhalbminüter "Flesh and soil" scheppert und morpht so lange durch sämtliche Instanzen der metallverarbeitenden Industrie, bis einem am Ende im Speed-Rausch die ganze Versuchsanordnung um die Ohren fliegt. Schon beeindruckend – und zwar so nachhaltig, dass sogar Bon Harris von den legendären britischen Elektro-Rüpeln Nitzer Ebb im vergleichsweise ohrwurmigen Brecher "Chained" eine rare Gesangs-Performance hinlegt. Da geht die abschließende Noise-Anrufung "Foldspace transitions" zusammen mit Sound-Designer Richard Devine beinahe als Erholung durch. Nerven? Hat man nach "Neurospace" garantiert wie Drahtseile.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Submit
  • Flesh and soil
  • Chained (feat. Bon Harris)

Tracklist

  1. Submit
  2. Watching yourself being born
  3. Locutus
  4. Sexual deception
  5. Death line rupture
  6. Dead zone
  7. Flesh and soil
  8. Chained (feat. Bon Harris)
  9. Foldspace transition (feat. Richard Devine)
Gesamtspielzeit: 45:24 min

Im Forum kommentieren

Klaus

2023-04-13 17:55:04

Knallt. Schöner Hallo-wach-Effekt.

peter73

2023-04-13 08:37:31

wow, eine blush response - rezi... wie kommts? :)
ist auf der "mussichauchbaldreinhören"-liste.

Armin

2023-04-12 20:34:53- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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