Yaeji - With a hammer

XL / Beggars / Indigo
VÖ: 07.04.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Wohlige Dekonstruktion

Es fühlt sich beinahe merkwürdig an, im Jahr 2023 noch vom Debütalbum der koreanisch-amerikanischen Künstlerin Yaeji zu sprechen. Aber ja: "With a hammer" ist der erste offizielle Longplayer aus der Feder der in Brooklyn ansässigen Künstlerin, Sängerin und DJane, der sich auch offiziell so bezeichnen darf. Wenn man aber mal den historischen Abriss betrachtet, ist Yaeji alles andere als eine Newcomerin in der Szene: Schon 2017 machten ein minimalistisch-melancholisches Cover von Drakes "Passionfruit" und die Single "Raingurl" mitsamt zwei dazugehörigen EPs die Runde in genreaffinen Playlists. Im Sommer 2020 folgte zudem das hervorragende Mixtape "What we drew". Im immerwährenden Limbus zwischen düsterem Kellerclub, futuristischem Hyperpop und melancholisch-innehaltenden koreanischen Einflüssen und Lyrics angesiedelt, entwickelten die zwölf dort versammelten Songs einen nachhaltigen Sog der Faszination. Und entfachten einen nicht unerheblichen Hype, dem nun mit "With a hammer" das Ausrufezeichen folgen soll. Die Kulmination des bisherigen Werdegangs, könnte man also meinen – was grundsätzlich schon mal Freude bereiten dürfte. Aber wie genau sieht denn nun das Debüt einer Künstlerin aus, deren Status schon seit Jahren etabliert und sattelfest ist?

Zur höchsten Freude stellt sich auf "With a hammer" sehr schnell heraus, dass etwaige Nervosität oder gar Mutlosigkeit ob des großen Spotlights so absolut gar keine Rolle spielen. Vielmehr zeigen die insgesamt 13 Songs eine innovative Künstlerin, die auf dem bisherigen Zenit ihres Schaffens fokussiert, messerscharf und mit höchster Präzision eine dekonstruierte, beatgetränkte und vertrackte Version des inzwischen doch recht omnipräsenten Elektro-Pop-Mantras darbietet. Selbstverständlich finden sich dabei auch einige Verweise auf das vorhergegangene "What we drew" – der Blaupause für Vieles, das hier stattfindet.

So kleidet sich der Opener "Submerge" zunächst in schräge Flötenklänge, nur um kurz danach in inzwischen typischer Manier verzerrte Beats und fragmentierte Stimmfetzen durch den musikalischen Äther zu jagen. Wie gewohnt mischen sich in den Lyrics Koreanisch und Englisch nahtlos ineinander. Das Chaos ist hier essentieller Baustein und unausweichlicher Kern einer künstlerischen Konfrontation zwischen Vergangenheit und Zukunft. Der Satz "There's nothing we can do to save the future generation" schielt zwischen den kruden Lyric-Fetzen hindurch und untermauert die mysteriöse, aber dennoch irgendwie tanzbare Ästhetik des Tracks. Auch die Vorabsingle "For granted" oder das verträumte "Ready or not" greifen die Einflüsse des Vorgänger-Mixtapes konsequent auf – besonders Letzteres zeigt sich instrumental äußerst stark und begeistert mit einer subtilen Verspieltheit, aus der eine vielseitige und entdeckungsfreudige Klangcollage entspringt. "With a hammer" präsentiert an vielen Stellen das Bekannte, ist aber clever genug, die Stärken in den Vordergrund zu stellen und ebenjene Faktoren auszumerzen, die vor einigen Jahren in Ihrer Ausarbeitung noch etwas übers Ziel hinausschossen.

Dass Yaeji mit viel Spaß und vor allem – vermutlich dank des starken Rückenwinds der vergangenen Jahre – offenbar völlig befreit von Erwartungsdruck aufspielt, zeigt sich vor allem an zahlreichen freidrehenden, wilderen Seiten auf "With a hammer". Fernab von Anbiederungsversuchen an den Mainstream baut beispielsweise "Fever" sein Instrumental auf verstimmten, dissonanten Gitarrensounds und Yeajis hallender, irgendwo im Limbus treibender Stimme auf, um es im Anschluss mit staubtrockenen Beats und koreanischen Spoken-Word-Passagen auf die Spitze zu treiben. An anderer Stelle prägen robotische Computersounds die Klanglandschaft des Titeltracks, dessen Strophen von einer vorgetragenen Bocklosigkeit nur noch in ihrer mechanischen Kälte unterstrichen werden und in ihrem bewusst trashigen Ansatz schon beinahe an Videospiel-Soundtracks der Neunzigerjahre erinnern – eine Referenz, die man nun auch nicht allzu oft nennen kann."Wake up from my freedom dreams", proklamiert die gebürtige New Yorkerin, bevor der Song schlussendlich in Bass-Salven und Beat-Gewummer versinkt. Ein völliger Overkill, der auf dem Papier vermutlich ein kaltes Schaudern über den Rücken laufen lässt, in seiner ausgespielten Perfektion hier aber absolut homogen und durchdacht wirkt. Und ein Ausrufezeichen für die durchweg großartige Produktion, die hier an den Tag gelegt wird.

Davon getragen ist auch der Closer "Be alone in this", welcher den Regler auf Introspektive dreht und von sphärischen Klängen und robotischen Stimmverzerrungen angetrieben nach und nach in Zeit und Raum aufzugehen scheint. Vielleicht ja auch eine Andeutung auf weitere große Pläne im Yaeji-Kosmos. "With a hammer" ist ein Debüt, welches durchweg ein Grund zur Freude ist. Eine angenehme Erscheinung, die sich völlig befreit von Erwartungshaltungen mit messerscharfem Fokus auf die Stärken seiner Protagonistin stützt und dabei – wenn auch auf verschrobene Weise – begeistert.

(Hendrik Müller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Submerge
  • Fever
  • With a hammer
  • Be alone in this

Tracklist

  1. Submerge
  2. For granted
  3. Fever
  4. Passed me by
  5. With a hammer
  6. I'll remember for me, I'll remember for you
  7. Done (Let's get it)
  8. Ready or not (feat. K. Wata)
  9. Michin (feat. Enayet)
  10. Away x5
  11. Happy
  12. 1 thing to smash
  13. Be alone in this
Gesamtspielzeit: 43:41 min

Im Forum kommentieren

ijb

2023-04-05 23:56:43

Es fühlt sich beinahe merkwürdig an, im Jahr 2023 noch vom Debütalbum der koreanisch-amerikanischen Künstlerin Yaeji zu sprechen.

Ja, der Quatsch, dass mittlerweile viele erste Alben (LPs!) nicht mehr als Alben bezeichnet werden, ist schon eine ziemlich bescheuerte Idee.

Die erste, groß und breit vermarktete Yaeji-LP (nach vernunftgemäßem Verständnis eindeutig ein Album) "What We Drew" (es hatte die gleiche Länge wie diese zweite LP, also auch eine gute Albumlänge und einen guten Albumfluss) hab ich vor drei Jahren gekauft. Bei Kelela ähnlich albern: "Cut 4 Me" erschien als LP/CD/Tonträger (50 Minuten lang), auch als Doppeltonträger, danach gab's das 25-minütige "Hallucinogen" ... und dann wurde später die zweite LP als Debüt verkauft.
Die erste Yaeji-Platte fand ich ganz gut, aber ich muss gestehen, irgendwie kommt man sich bei solchen albernen Verkaufsmethoden recht veralbert vor.

Ja, ist keine Meinung zum Inhalt des Textes und auch nicht zur Musik. Dennoch.

Armin

2023-04-05 20:49:25- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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