The Necks - Travel

Northern Spy / Bertus
VÖ: 24.02.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Men at work

Zum Reisen hat man in Australien viel Gelegenheit. Rund 4000 Kilmeter misst der Kontinent in der Breite, eine Autofahrt von Brisbane nach Perth nimmt mehr als zwei Tage in Anspruch. Ganz so lange dauert das passenderweise "Travel" benannte Album von The Necks zwar nicht. Aber das Jazz-Trio aus Down Under weiß zumindest, dass Zeit sowieso eine relative Illusion ist. Ihre instrumentalen Stücke haben nicht selten oft ein ganzes einstündiges Werk eingenommen. Die 17. Studioplatte ist hingegen in vier Improvisationen unterteilt, alle haben in etwa die Dauer einer Vinyl-Seite. Chris Abrahams, Tony Buck und Lloyd Swanton – seit 1987 in genau dieser Besetzung verbandelt – denken dabei gar nicht daran, von ihrem hypnotisch groovenden Minimalismus abzuweichen. Doch dank der verdaulichen Häppchen und der abermals fabelhaft klaren Produktion ist "Travel" sicher ein guter Einstiegspunkt in das bald vier Jahrzehnte umfassende Œuvre von The Necks.

Die Band verfasst grundsätzlich keinen Fahrplan für ihre Werke, sie lässt sie stattdessen atmen und sich entwickeln. Direkt deutlich macht das der Opener "Signal". Der Bass nagt sich an einer zentralen Tonfolge fest, dazu gesellt sich ein Synth, der ominös sein Ding durchzieht. Während das Stück gemäß dem Albumtitel an verschiedenen Orten und Aussichtspunkten vorbeigleitet, bringt das Klavier später Farbe ins Spiel. Mehr Zufall als Absicht und doch der Ausdruck ganz großen Könnens. Ganz im Gegensatz dazu schleicht durch "Forming" eine Klapperschlange, die immer wieder an die Percussion und das Klavier stößt, wodurch sich eine dezent nervöse Grundstimmung einstellt. Selbstverständlich bricht der Vibe dadurch nicht ab, es verändert sich lediglich der Film vor dem inneren Auge. Die Dringlichkeit nimmt zu, die Intensität steigt. Der hektische Part des Reisens? Die Ungewissheit, welche Tiere im Outback lauern? Womöglich beides.

Während "Forming" sich stur auf ein Ziel zuzubewegen scheint, torkelt "Imprinting" rhythmisch undurchschaubar durch eine abendrote Landschaft. Von den vier Tracks ist es mit Abstand der lässigste, entzieht sich quasi jeglicher Festnagelung. Das Klavier balanciert auf ganz eigenen Tonleitern, die Percussion schlendert gemütlich nebenher. Ganz langsam verdichtet sich das Stück erst und verdrahtet im Vorbeigehen die Synapsen neu. Letztlich bleibt "Imprinting" auch eine Art Anlauframpe für das feurige Finale "Bloodstream", das nach einer formlosen Orgelei samt brummenden Bass sich spontan selbst entflammt und eine Brandschneise hinterlässt, die schnurgerade Richtung Ekstase führt.

Wie viele andere Alben von The Necks lässt "Travel" trotzdem die Wahl: nebenbei als Begleitsoundtrack fürs Leben fungieren oder ein konzentriertes Eintauchen belohnen. Die Kompositionen drängen sich nie zu sehr auf, durch ihre inhärente Repetition lässt sich der Hypnosegrad quasi selbst einstellen. Wenn man sich darauf einlässt, ist die Platte mächtig und nimmt auf die im Titel versprochene Reise mit. Mit "Travel" im Ohr wird auf einer Zugfahrt beispielsweise die Musik nicht so sehr zur Untermalung der Landschaft, vielmehr scheint sich die Landschaft der jeweiligen Stimmung zu beugen. Und wenn's gerade einen sehr langen Tunnel hat: Die auch nach so vielen Jahren beeindruckende Kunstfertigkeit der drei Herren zu bewundern, unterhält auch weit länger, als dieses Album überhaupt dauert. Denn bei The Necks ist Zeit sowieso in jeder Hinsicht relativ.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Signal

Tracklist

  1. Signal
  2. Forming
  3. Imprinting
  4. Bloodstream
Gesamtspielzeit: 76:56 min

Im Forum kommentieren

ijb

2023-03-29 16:44:36

Hui, nach 34 Bandjahren und ca. 20 Alben die erste Rezension auf plattentests.de!

Man soll die Hoffnung die aufgeben.
:-)

Die Referenzenliste ist auch ganz lustig.

nörtz

2023-03-29 16:12:28

Ich wusste sofort nach den ersten Klaviertönen des Openers, dass das etwas für mich ist. Traumhaft!

Der Untergeher

2023-03-26 22:18:08

Schön, dass es hier besprochen wurde. Super Album von einem der besten "Jazz"-Trios, die ich kenne.

Armin

2023-03-22 20:42:32- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?


fakeboy

2023-02-26 09:55:40

Neues Album „Travel“ ist eben erst erschienen. 4 Stücke, 76 Minuten. Kannte bislang gar nichts von den Necks. Zieht mich grad gut rein, die Stücke entwickeln einen angenehmen Sog, kreisen um sich selbst, machen geringfügige Änderungen durch, brechen selten aus. Gefällt mir grad sehr gut.

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