Model/Actriz - Dogsbody

True Panther
VÖ: 24.02.2023
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Obsession is sex

Stabilität, schön und gut. In Deinem Vorstadthäuschen mit Familie und Hund magst Du dich oberflächlich wohlfühlen, den massierenden Rhythmus des Alltags genießen. "I feel the morning hesistate toward me / Everyday, everyday, the sun turns slowly over me." Doch da ist etwas Brodelndes, Dunkles, das Dich anzieht. Es blitzt in Momenten auf, in denen Du wenig damit rechnest. Es versetzt Dich in eine andere Szenerie. Du legst Dich träumen. Das Licht flackert und scheint kurz auf abgetrennte Gliedmaßen, rote Lachen und Sexspielzeuge, bevor sich die Dunkelheit wieder darüber legt. "Delicious and evrything gushing / Ripe with crimson." Du fühlst etwas nah an Deinem Gesicht, Du beißt zu. "And then it's bleeding over / Onto my jaw, onto my neck, onto the floor." Und dazu pulsiert ein Rhythmus, der unbedingt ficken will. Model? Actriz.

Man könnte jetzt behaupten, Model/Actriz klängen wie Black Country, New Road, wären sie von der Kunsthochschule geflogen und daraufhin so wahnsinnig geworden, wie sie gerne wären. Das umfasst aber nicht den kompletten Impact, den "Dogsbody", das Debütalbum des New Yorker Quartetts, ausübt. Schon lange nicht mehr balancierte eine Platte dermaßen zwischen Sex und Gewalt, zwischen täuschender Ruhe und brutalen Attacken hin und her. Vokalist Cole Haden liegt irgendwo zwischen Xiu Xius Jamie Stewart und Slints Brian McMahan, klingt ewig paranoid und getrieben, zugleich erotisiert von diesem Umstand. Er singt und schreit nicht, er flüstert oder heult stattdessen seine abgründige Poesie in die Welt hinaus. Wer glaubt, dass "Frothed milk, honey butter in my cherry reduction" auch nur irgendetwas mit Lebensmitteln zu tun hat, ist von vornherein auf dem Holzweg.

Spätestens wenn der Opener "Donkey show" jegliche Vortäuschung von Leichtverdaulichkeit fallen lässt, ist man drin in diesem Spiegelkabinett der Schizophrenie. "I know it's hard, I feel you rise to the occasion", haucht Haden, besessen davon, sein "wretched device" zielgerichtet einzusetzen. Der Noiserock im Refrain ist nur ein Vorgeschmack auf den mitreißenden Blutrausch von "Mosquito", dessen besungener "body count" erneut alle möglichen Körperflüssigkeiten zusammenmischt. Ähnlich aggressiv kläfft "Amaranth" los, fantasiert sich offene Wunden zusammen. "I remember pacing blank ground / I remember thorns shredding my palms." Jene blutigen Handflächen schmiert sich "Pure mode" einmal übers Gesicht, um nach dem Gewitter die vielleicht eiskältesten Zeilen auf "Dogsbody" hinterherzuschieben: "I don't mean to scare you but I can't talk right now / I will tear you apart."

Model/Actriz wissen jedoch auch, dass negativer Raum mindestens so wichtig ist wie der Angriff. Schließlich macht die Jagd mehr Spaß, wenn man wie in "Divers" die unschuldige Beute mit geiferndem Maul aus dem Versteck beobachten kann – vertont als stotternder Motor, der im nächsten Song unvermittelt anspringt. Zuvor ist "Crossing guard" wohl das körperbetonteste Stück, braucht keine Lautheit in seinem Flüsterton, um Gefahr zu signalisieren. Dass Haden mittendrin einen großen Popstar zitiert, macht die Sache eher unheimlicher als gewöhnlicher: "Like Germanotta, Stefani / Pull this rug from under me." Bei diesem sexy Groove reicht es jedoch auch, einfach nur mehrere Takte statisch zu bleiben. Schließlich übernimmt "Slate" stoisch das Zepter und führt die Ekstase zur bitteren Konklusion.

"Sleepless" gibt schon zu Beginn mehr Hinweise auf die in der zweiten Hälfte folgende Sounddecke: "Drawing our net across the bottom of the lake / Pulling the bodies out, dragged to the pavement." Und doch: Wenn niemand mehr damit rechnet, klingt das Album mit "Sun in" sogar versöhnlich aus. Eine schlichte akustische Nummer, die in diesem Kontext geradezu erhaben schön ist. "Like silk in my hand / The sky is shaking out the stains I left / And it's so bright with the sun in my eyes." Die internen Widersprüche von "Dogsbody" sind genau das, was es so faszinierend macht, die logische Spitze, auf die es Model/Actriz mit diversen EPs und Singles hiermit getrieben haben. Aggression muss nicht zwingend in Geschrei und stumpfes Gebolze ausarten. Manchmal ist es gruseliger, der geifernden Bestie einfach nur ins Gesicht zu blicken.

(Felix Heinecker)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Mosquito
  • Crossing guard
  • Amaranth
  • Sun in

Tracklist

  1. Donkey show
  2. Mosquito
  3. Crossing guard
  4. Slate
  5. Divers
  6. Amaranth
  7. Pure mode
  8. Maria
  9. Sleepless
  10. Sun in
Gesamtspielzeit: 37:56 min

Im Forum kommentieren

Felix H

2023-07-11 20:58:48

Dann bin ich beruhigt. :-)

Autotomate

2023-07-11 19:52:52

Ein bisschen schon auch, ja ;) Aber den Kontext, die Vorstellung eines pulsierenden, aggressiv notgeilen Rhythmus, fand ich zum hektischen Drauftreten eklig.

Ich hab das Album gerade gehört und begleitend die Rezi noch einmal gelesen, da fiel mir das wieder ein. Aber mach dir keine Sorgen, ich kann damit dealen :)

Felix H

2023-07-11 19:26:11

Das tut mir Leid. Wegen des F-Worts?

Autotomate

2023-07-11 19:03:49

Und dazu pulsiert ein Rhythmus, der unbedingt ficken will. Model? Actriz.

Ich bin zugegebenerweise leicht zu erschrecken, aber diesen Satz aus der Rezi hab ich immer noch nicht verkraftet...

Deaf

2023-06-14 15:56:53

Gute Band. Vor zwei Wochen live gesehen an einem Festival, wenn auch leider nur knapp 30 Minuten lang.

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum