Enslaved - Heimdal
Nuclear Blast / Rough TradeVÖ: 03.03.2023
Im Norden viel Neues
Sie waren im Grunde genommen schon immer größer als das Genre, das sie mitbestimmten, egal in welcher Phase sie sich auch immer gerade befanden. Das Experiment Death Metal endete, bevor es überhaupt begann, und als die Teenager Ivar Bjørnson und Grutle Kjellson 1991 im norwegischen Haugesund das erste Mal unter dem Namen Enslaved auftraten, war bereits klar, dass Black Metal ebenfalls eher Fluch als Segen sein könnte. Zumal die Band den damaligen kriminellen Auswüchsen der Szene – die berüchtigten Kirchenbrände waren nur ein Teil davon – ohnehin herzlich wenig abgewinnen konnte. Doch wenn man es ganz genau nimmt, waren es erst die Alben "Riitiir" von 2012 und "E" von 2017, mit denen die Norweger alle stilistischen Fesseln von sich warfen und auf einzigartige Weise damit begannen, Black Metal mit Progressive Rock zu einer höchst spannenden Mischung zu vereinigen.
Es mag daher Bands geben, die das mächtige Horn zu Beginn von "Behind the mirror" als Einladung zu infernalischem Wutgetrümmer auffassen, handelt es sich doch um das Gjallarhorn, mit dem der Gott Heimdal nicht nur das 16. Studioalbum der Skandinavier ankündigt, sondern vor allem Ragnarök einläutet, den Untergang der Welten. Was aber Enslaved gerade zu Beginn dieses Albums abfeuern, ist in der Tat nicht von dieser Welt. "Behind the mirror" startet sogar noch einigermaßen konventionell mit schwelgerischen Prog-Ausflügen, die durchaus an Borknagar erinnern, zwischendurch aber von Thrash-Eruptionen rüde unterbrochen werden. Das folgende "Congelia" bekommt acht Minuten Zeit, seine Schichten aufzubauen, wird immer orgiastischer, mitreißender, bis sich jeglicher Versuch, einen kühlen Kopf zu bewahren und irgendwo der Struktur zu folgen, als komplett vergebens erweist und Ragnarök in den nächsten greifbaren Moshpit verlegt.
Plötzlich ein knallharter Schnitt. Ruhig, sphärisch wabert der Beginn von "Forest dweller" vorbei, und man muss sich im Zweifel per Blick in die Credits nochmals vergewissern, dass hier nicht Brendan Perry von Dead Can Dance singt, sondern Keyboarder Håkon Vinje – der nur kurz darauf an seinem eigentlichen Arbeitsgerät locker den unvergessenen Jon Lord zitiert, während sich der für die Lead Vocals zuständige Kjellson die Seele aus dem Leib keift. Klingt wirr, ist es aber wahrlich nicht. Doch natürlich ist der wahnwitzige Wechsel zwischen den Stilen höchst anspruchsvoll – wer sich jedoch darauf einlässt, kann selbst beim wüsten "Kingdom" in Struktur und Seele des Songs vordringen. Ob allerdings wirklich jeder die dafür erforderliche Ruhe und Muße aufbringen kann, ist heutzutage leider zweifelhaft. Zumal das folgende "The eternal sea" tatsächlich an der ein oder anderen Stelle die geradezu jazzige Spielfreude ein wenig übertreibt und in leichte Konfusion abdriftet.
"Caravans to the outer worlds" macht es da schon viel besser, indem es sich komplett der orgiastischen Raserei hingibt. Nahezu unmenschlich ist es, wie Arve Isdal hier an seiner Gitarre eskaliert, während sich um ihn herum Soundwände wie bei Devin Townsend auftürmen – das hat weder mit Black- noch mit Viking- oder Sonstwas-Metal zu tun, das ist einfach nur musikalisches Können auf Höchstniveau. Erst die klirrende Kälte des abschließenden Titeltracks könnte noch einmal deutlich machen, wo die Wurzeln von Enslaved tatsächlich liegen, wären da nicht die aus dem Nichts auftauchenden und immer hypnotischer werdenden Post-Metal-Riffs. Natürlich gehen die Norweger ein hohes Risiko, stellen die Hörer vor manchmal nahezu unlösbare Aufgaben bei der Entschlüsselung dieser musikalischen Wucht. Doch ähnlich wie das Vorgänger-Album "Utgard" nimmt "Heimdal" gefangen, offenbart irgendwann sein Suchtpotenzial. Wenn das hier tatsächlich der Soundtrack zum Ende der Welt ist, dann kann Ragnarök getrost kommen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Congelia
- Caravans to the outer world
- Heimdal
Tracklist
- Behind the mirror
- Congelia
- Forest dweller
- Kingdom
- The eternal sea
- Caravans to the outer worlds
- Heimdal
Im Forum kommentieren
hos
2023-03-08 22:09:28
habs bislang nur einmal gehört. viel ist noch nicht hängengeblieben, bis auf die vermutung, dass es nicht übel ist und die band gottseidank diesen unpassenden 80er wave-einschlag des letzten albums nicht weiter verfolgt hat.
Armin
2023-03-08 21:12:15- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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