Fever Ray - Radical romantics

Rabid / PIAS / Rough Trade
VÖ: 10.03.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

In den Hüften

"First I'd like to say that I'm sorry" – die ersten Worte von "Radical romantics". Schon verziehen. Auch wenn Karin Dreijer es mit Fever Ray auf "Plunge" in der Tat recht bunt trieb: großkariertes Bumsen in der LGBTQ+-Disco, offensive Statements zu Gesellschaft und Sexualmoral, aufregende Abenteuer mit Körpersäften und androgynem, glatzköpfigem Alien – an einer voluminösen Tafel, die Wladimir Putin vor Neid in seine Tischplatte beißen lässt. Dass die so visualisierte Single "To the moon and back" einen Sülzwurst-Hit von Savage Garden zitierte, verdeutlichte gleichzeitig aber: Im Grunde ist auch Fever Ray von Romantik beseelt. Siehe Titel von Album Nummer drei sowie die Covergestaltung: von der düsteren Gestalt vor Seenlandschaft auf "Fever Ray" über Black-Metal-Facepainting auf "Plunge" zur bizarren, aber freundlich zugewandten Business-Person im Anzug.

Aber bitte nicht zu viel der Zärtlichkeit und immer ein "I'm your lover, not your friend" mitdenken. Man muss sich schließlich nicht dauernd für alles entschuldigen. Vor allem nicht für den bereits 2022 veröffentlichten Opener "What they call us", der sich auf leisen Synthie-Pfoten anpirscht, dann aufgeregt rumpelt und in wild menschelnden, dubsteppigen Geklacker gipfelt. Unterkühlt bis ans Herz, aber dennoch vom Wunsch nach Nähe geprägt: "Can I hold you just for a minute? / Some things just ain't easy to repair." Rätselhaft bezaubernder Minimalkompakt, abgezirkelt, clever und emotional zugleich. Wer würde Dreijer da nicht gern in den Arm nehmen? Zumal es mit der Ruhe schnell vorbei ist, sobald zwischen den federnden Basslinien und Handclaps von "Shiver" ein vorwitziger Moskito durch das Stück sirrt. Bei aller Liebe: Fever Ray hat's mal wieder in den Hüften.

Dafür sorgt neben versierten Mitwirkenden wie Sebastian Gainsborough alias Vessel sowie Trent Reznor und Atticus Ross von Nine Inch Nails auch Dreijers Bruder Olof, dank dem "Radical romantics" zuweilen unverkennbares The-Knife-Aroma verströmt. Im verspielt durch die Gegend hüpfenden Queer-Lovesong "Kandy" etwa, der von der Lust unter Mädchen schwärmt und ohne Zeilen wie "I want to run run my fingers up your pussy" auskommt, oder das genauso sexuell aufgeladene "North", das sich ähnlich verstohlen wie "From off to on" und andere Glühwürmchen von "Silent shout" anschleicht. "New utensils"? Hat "Radical romantics" im gleichnamigen Track ebenso an Bord und verschweißt die aufgekratztesten Footwork-Momente von Jlins "Black origami" mit wogender Keyboard-Brandung und Fabrikhallen-Rave. Pop? Kommt eher spät aus seinen Löchern.

Und wenn, ist er so auf Krawall gebürstet wie "Even it out". Ein straightes Beatmuster lockt unweigerlich auf die Tanzfläche, wo Dreijer schon samt Gang wartet, um zu grollender Elektronik einen verhassten Schlägertypen gehörig aufzumischen: "This is for Zacharias / Who bullied my kid at high school / There's no room for you / And we know where you live." Das wird jetzt ein bisschen weh tun – "Full of fire" einmal anders. Sorgloser feiert's sich zum infektiösen "Carbon dioxide", das lüstern auf den Hintern und in die Hände klatscht, ehe "Tapping fingers" zur privaten Afterhour lädt. Das Happy End eines höchst vergnüglichen Albums, auf dem persönliches Wohlbefinden vor musikalische Umwälzung geht – es sei denn, man hält das finale Unterwasser-Blubbern "Bottom of the ocean" für eine solche. Tut gut nach einem langen Tag in Büro, Club und fluidem Rotlichtmilieu.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • What they call us
  • New utensils
  • Even it out
  • Carbon dioxide

Tracklist

  1. What they call us
  2. Shiver
  3. New utensils
  4. Kandy
  5. Even it out
  6. Looking for a ghost
  7. Carbon dioxide
  8. North
  9. Tapping fingers
  10. Bottom of the ocean
Gesamtspielzeit: 44:18 min

Im Forum kommentieren

Unangemeldeter

2023-07-20 16:44:02

Dieses Album hat sich bei mir leider nicht als Grower erwiesen - die Songs die ich von Anfang an eher schwach fand sind schwach geblieben. Leider für mich das erste Fever Ray-Album mit Skipkandidaten. Dazwischen aber auch einige Perlen, hätte sie mal besser eine EP gemacht.
7/10 geht auch für mich klar, und damit 2 bzw. 3 Punkte schlechter als die ersten zwei.

peter73

2023-07-20 12:36:46

und noch ein remix bzw. rework - diesesmal zu "carbon dioxide":
https://www.youtube.com/watch?v=WyROzum-15A

peter73

2023-06-22 19:14:26

schöner remix von "what they call us":

https://www.youtube.com/watch?v=8NC7IFCwuG4

Fiep

2023-03-22 16:38:53

2 tage spätere und noch 2 durchgänge...
und ja, ich glaub ich bin da wo Enrico Palazzo steht.
Irgendwie hab ich nach 1-2 minuten ein skip bedürfniss, nicht weil die songs schlecht sind, sonderne weil ich nach der zeit bei den meisten alles bekommen habe was der track zu bieten hat.

Matjes_taet

2023-03-22 13:42:14

Bester "viel The Knife" Song ist jetzt auch schon 13 Jahre her..

https://www.youtube.com/watch?v=XnHiU5Gu3v8
(ab 2.14)

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