Host - IX
Nuclear Blast / Rough TradeVÖ: 24.02.2023
Was wäre, wenn?
Es ist ja nicht so, dass Paradise Lost im Laufe ihrer Karriere nicht experimentierfreudig gewesen wären, Auch wenn sich in der jüngeren Vergangenheit die Klammer zum Doom-Death der Anfangsjahre wieder etwas geschlossen hat. Schon der Bandklassiker "As I die" vom Album "Shades of God" zeigte 1992, dass das reine Metal-Korsett für die Briten viel zu eng ist – und das war wohlgemerkt vor ihrem endgültigen Durchbruch mit "Icon". Um die Jahrtausendwende herum allerdings, als Metal generell in einer Art Existenzkrise steckte, suchte die Band bisweilen verzweifelt nach einer eigenen, neuen Identität – und veröffentlichte mit 1999 "Host" ein Album, das radikal mit allem brach, was Paradise Lost zuvor ausgemacht hatte. Und auch wenn aufgeschlossene Hörer und Kritiker vor allem den Mut für diese Platte lobten, waren die meisten Fans vor den Kopf gestoßen.
Ist es nun also konsequent, dass das neue Nebenprojekt von Frontmann Nick Holmes und Gitarrist Greg Mackintosh nun ausgerechnet den Namen dieses Albums trägt? Zumal Mackintosh zusammen mit Holmes unlängst mit Strigoi eine Nachfolgeband zum – laut Mackintosh auserzählten – Death-Metal-Massaker Vallenfyre auf die Beine gestellt hat? Die Begründung des Klampfers klingt zunächst einigermaßen halbherzig. Nein, man wolle eben nicht "Host, part 2" schreiben, aber ja, natürlich gehe die Erinnerung zurück in die Jugendzeit der Achtziger, als nicht nur im heimischen West Yorkshire die Goth-Szene kräftig boomte. Nun gut, geben wir also dem Album "IX" die verdiente Chance.
Der Opener "Wretched soul" sorgt zunächst für gepflegte Düsterstimmung, doch schon "Tomorrow's sky" schleift die alt und müde gewordenen Knochen zurück auf die Tanzfläche eines imaginären Gruft-Schuppens. Very british stampft ein gewollt im Stil der damaligen Drumcomputer patschender 4/4-Takt voran, ruft in der Tat Erinnerungen hervor an Bands, One-Hit-Wonders gar, deren Namen längst vergessen sind, die aber in ihrer enigmatischen Düsternis auch hierzulande einen wohltuenden Kontrapunkt zum exaltierten Italo-Pop jener Dekade setzten. Statt sich jedoch in Pseudo-Coverversionen zu suhlen, fügen Macktintosh und Holmes ihre ganz eigene Note ein, lassen "Hiding from tomorrow" eine wunderbare Brücke zum Paradise-Lost-Album "One second" schlagen, während Holmes immer wieder nicht nur singt, sondern flüstert, beschwört, dabei Songs wie "Divine emotion" oder "A troubled mind" einen ganz eigenen Stempel aufdrückt.
Der großartigste Song, den Paradise Lost nicht für "Host" geschrieben haben, ist jedoch "Years of suspicion". Ein einsames Riff zerfetzt die Synthesizer-Wand und bereitet den Weg für wuchtige Drums, und über all diesem Industrial-Inferno thront Nick Holmes' Gesang – wer jetzt ein wenig Fantasie hat, möge sich stattdessen Alexander Veljanov vorstellen und beamt sich mitten in die kalte Welt von Deine Lakaien in ihrer "Dark star"-Phase. Überragend. Holmes selbst hat einmal gesagt, dass "Host" besser nicht unter dem Bandnamen Paradise Lost hätte veröffentlicht worden wäre. Und zu einem gewissen Teil hat er damit vollkommen Recht, zu radikal verleugnete die Band damals ihre eigene Identität. "IX" zeigt demgegenüber, wozu dieselben Musiker imstande sind, wenn sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen können, ohne wie vor 24 Jahren unter dem Druck zu stehen, mit dem ersten Album für ein Major-Label eín Hit-Album abliefern zu müssen – und ist damit die Platte, die "Host" schon immer hatte sein wollen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Tomorrow's sky
- Hiding from tomorrow
- A troubled mind
- Years of suspicion
Tracklist
- Wretched soul
- Tomorrow's sky
- Divine emotion
- Hiding from tomorrow
- A troubled mind
- My only escape
- Years of suspicion
- Inquisition
- Instinct
- I ran
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MM13
2023-02-24 18:38:15
host, war damals mein paradies lost einstieg,das könnte jetzt tatsächlich sowas wie die fortsetzung sein,allerdings mit merklicher beachtung auf synthiesound,packt mich gerade ziemlich. 7/10
Armin
2023-02-22 19:20:41- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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