Algiers - Shook

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 24.02.2023
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Nicht gerührt

Algiers sind eine streitbare Band. Vor allem, wenn sie gegen Feinde der Demokratie, institutionalisierten Rassismus und die Verletzung von Menschenrechten zu Felde ziehen. Also immer. Wer sie live gesehen hat, könnte zudem registriert haben, dass das Quartett auch intern keine Konfrontation scheut, wenn einmal etwa verschiedene Auffassungen über den Bühnensound herrschen. Tiefergehende persönliche Differenzen legten Frontmann Franklin James Fisher und Instrumentalist Ryan Mahan zuletzt auf Heimaturlaub in Atlanta bei – und beschlossen, den bei ihnen seit jeher präsenten Community-Gedanken weiter voranzutreiben. Als eine Art transatlantisches Filesharing-Projekt, was ab Beginn des Lockdowns so im Schwange war, hatten Algiers schließlich schon lange existiert, bevor ein Gutteil der Welt überhaupt wusste, was eine Pandemie eigentlich ist.

Folglich fährt dieser vierte Longplayer jede Menge Prominenz aus Indie-Rock, zeitgenössischem Jazz und der HipHop-Szene ihrer Homebase auf und verschiebt den Sound aus den dunklen Ecken von industriellem Soul, Noise-Gospel und Post-Punk zusehends in andere Bereiche. Schon die erste Single "Bite back" steht Fisher und Kollegen mit ihrer elektronischen Beatbox-Ausrichtung ausgezeichnet zu Gesicht, wenn Synthie-Stiche das minimalistische Rhythmusgerüst infiltrieren, ehe der Rap von Ashanti Mutinta alias Backxwash klobig in die Szenerie stapft und noch eine Spur kräftiger zubeißt. In eine ähnliche Kerbe schlug bereits zuvor der Opener "Everybody shatter", bei dem Fisher Gesellschaft von OutKast- und CeeLo-Green-Sozius Big Rube bekommt – zu deeper Schlagseite und funky Gitarren-Shit. Doch so tight geht es auf "Shook" längst nicht immer zu.

Angedeutet hatte sich so etwas schon 2020 beim 50-minütigen "Cleveland 20/20", in dem "Black lives matter"-Demonstranten zu Wort kamen, sowie auf der Fusion-Single "Can the sub_bass speak?". Nächster erratischer Halt: das zusammen mit Rage Against The Machines Zack De La Rocha eingeteufelte "Irreversible damage". Sprotzende Sequenzer, Störgeräusche, ein grelles Riff und alarmierende Bläser in der Klimax – zweifelsohne virtuos, aber derart kondensiert auch irgendwie zu viel des Guten. Wobei dieses Album am schwächsten wirkt, sobald es wie bei "Green iris" oder "Something wrong" stattliche Songlängen mit Free-Jazz-Attacken, Tempowechseln oder Versatzstücken aus Dub und Hardrock aufplustert. Auf "Shook" ist zwar viel los – dennoch machen Algiers erstmals ab und zu den Eindruck, als wüssten sie nicht recht etwas mit sich anzufangen.

Es geht aber auch knackiger. Der spukige Glühwürmchen-Blues "Cleanse your guilt here" und der ruppige Punkrocker "A good man" fassen sich kurz und treffen ins Schwarze, das infektiöse "Cold world" rumpelt zielsicher zwischen New Wave und UK Bass durch und lässt viel Raum für Fishers zürnende Stimme. Am hellsten lodert der Sänger in "I can't stand it!" unter Mithilfe von Boy Harshers Jae Matthews und Samuel T. Herring von Future Islands – noch ein flammendes Neo-Soul-Plädoyer für eine bröckelnde Liebe nach "The cycle / the spiral: Time to go down slowly", das auf "The underside of power" Nina Simones "Sinnerman" interpolierte. Trotzdem ähnelt die latente Unaufgeräumtheit von "Shook" oft eher dem 2021er-Album "Mondo decay" von Mahans und Lee Tesches Projekt Nun Gun als seinen Vorgängern. Immerhin: Algiers bleiben streitbar. Und die Welt brennt weiter.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Everybody shatter (feat. Big Rube)
  • Bite back (feat. Billy Woods & Backxwash)
  • I can't stand it! (feat. Samuel T. Herring & Jae Matthews)
  • Cold world (feat. Nadah El Shazly)

Tracklist

  1. Everybody shatter (feat. Big Rube)
  2. Irreversible damage (feat. Zack De La Rocha)
  3. 73%
  4. Cleanse your guilt here
  5. As it responds (feat. Big Rube)
  6. Bite back (feat. Billy Woods & Backxwash)
  7. Out of style tragedy (feat. Mark Cisneros)
  8. Comment #2
  9. A good man
  10. I can't stand it! (feat. Samuel T. Herring & Jae Matthews)
  11. All you see is
  12. Green iris
  13. Born (feat. LaToya Kent)
  14. Cold world (feat. Nadah El Shazly)
  15. Something wrong
  16. An echophonic soul (feat. DeForrest Brown Jr. & Patrick Shiroishi)
  17. Momentary (feat. Lee Bains, III)
Gesamtspielzeit: 54:33 min

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fuzzmyass

2023-02-26 00:21:34

Wow, was für eine angenehme positive Überraschung nach den nun etwas unverständlich kritischen Posts hier... tolles Album mit guter Produktion und gar nicht mal so krass sperrig und noisy wie erwartet - wenn man ab und zu auch mal sperrigere Musik mag, dann kommt man da ganz gut klar finde ich... ich mag die Richtung, welche die Band hier einschlägt - deutlich besser als wäre sie in poliertere poppigere Bahnen geschlittert... es ist konfrontativ und will erarbeitet werden, bietet aber durchaus genug pointierte Abwechslung, so dass man als Hörer genug Ankerpunkte hat und nicht in breeige Gewässer abdriftet - es bleibt schon beim ersten Druchgang genug hängen... irgendwo eine geile Mischung aus Saul Williams, Shabazz Palaces, Public Image Limited und Sandinista von The Clash oder so, und etwas mehr :) Zumindest kam mir das etwas in den Sinn...
Die Gastbeiträge sind gut und fügen sich IMO perfekt ein...

Einzige Kritikpunkte, die aber jetzt bei mir nicht so stark ins Gewicht fallen: man hätte das Ganze tatsächlich etwas straffer gestalten und um etwa 5-10 Minuten kürzen können... dazu eventuell etwas mehr Gesangsmelodien im Stile der älteren Alben - die kommen schon ein wenig zu kurz...

Ersteindruck 7,5-8/10

smrr

2023-02-25 00:15:05

Was für 'ne geile Liste an Feature-Gästen! Und dann kommt sowas dabei raus :/

Besonders bei den Songs mit Gästen merkt man, dass die ihre Spuren irgendwo auf der Welt getaped haben - ohne wirkliche Vorgabe oder Demos, auf die gesungen (falls man das so nennen kann) wurde. Es klingt wie Stückwerk. Spuren sind übereinandergelegt, aber es passt an vielen Ecken und Enden einfach nicht. Keine Ahnung, wer das abgenommen hat, aber auch vom Mastering klingt das für mich vollkommen daneben.

Ich nehme der Band ab, dass sie was Großes produzieren wollen, aber rausgekommen ist das Gegenteil.

100% bei Klaus.

Klaus

2023-02-24 22:37:14

Puh, was zu erwarten war. Zu viel spoken word, zu wenig Struktur, zu viel Aktionismus, zu wenig, was man Songs nennen könnte. Mit wohlwollen 5/10, glaub nicht, dass das hier öfter läuft.

fuzzmyass

2023-02-22 20:02:43

"spricht jetzt nicht für die Visions"

Naja, nur weil sie evtl deinen Geschmack nicht voll teilen oder irgendeinen ungeschriebenen Konsens nicht komplett mitgehen? Kann man so sehen, aber muss man nicht :) ;)

Glufke

2023-02-22 18:56:03

Young Fathers war im Januar Schönheit der Ausgabe, Paramore sind auch nicht übel weggekommen (8/12). Die Visions hat manchmal - bzw. in den letzten Jahren öfter - in der Tat merkwürdige Einschätzungen, aber in letzter Zeit werde ich wieder öfter fündig. Das war auch mal anders.

Zu Algiers: eine Band, mit der ich gerne wärmer werden würde als ich es aktuell bin. Die neuen Songs klingen aber imo ziemlich spannend, insbesondere "23%" und die Kollaboration mit de la Rocha. Werde am Freitag oder am Wochenende definitiv mal rein hören.

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