H.C. McEntire - Every acre

Merge / Cargo
VÖ: 27.01.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Geo-Biografin

"It ain't the easy kind of healing / When you're down on your knees, clawing at the garden." Die Essenz H.C. McEntires Schaffens in 17 Wörtern, die gegen die schweren Pianos des psychedelischen Folk-Rocks von "Rows of clover" prallen. Bei der US-amerikanischen Songwriterin verschränken sich die emotionalen Prozesse des Menschseins stets mit dem Boden, auf dem wir stehen, der Natur, die uns umgibt. Biografien von Trauer, Schmerz, Wachstum und Heilung stecken in "Every acre" des von uns bewohnten Landes, und deshalb heißt ihr drittes Solo-Album auch so. Es ist eigentlich zu einfach, diese Perspektive auf McEntires Aufwachsen auf einer Farm in North Carolina zurückzuführen, und doch unausweichlich – schließlich hat sie ihre Wurzeln nie abgeschnitten, lebte bis vor Kurzem noch immer in der Gegend und hält den Country und Gospel ihrer Kindheit in der eigenen Musik warm. Die Songs der ehemaligen Mount-Moriah-Frontfrau wirken eher wie akustische Fotografien, halten in ihrem Sirup-artigen Tempo die Zeit an und Malick'sche Panoramen amerikanischer Erde fest – in deren Furchen und Ecken jedoch bei aller schläfrigen Schönheit ganze Stürme innerer Sinnsuchen brodeln.

Zwischen den in die Abendsonne hallenden Saiten und Versen des reduzierten Openers "New view" merkt man davon noch kein Lüftchen. "Bend me and break me / Split me right in two / Mend me and make me / I'll take more of you", singt die nebst der Musik auch Gedichte veröffentlichende Autorin, bevor sie das Zwischenmenschliche verlässt und ein paar Poetinnen namedroppt. Doch das von der aus Kentucky stammenden Kollegin S.G. Goodman unterstützte "Shadows" wirkt zerrissener: Ein beständiger Pulsschlag und idyllische Aufnahmen von Fröschen und Grillen stehen im Kontrast zum im Hintergrund sägenden Cello und einem kurzen Abkippen ins Dissonante. Es sind solche Momente der Unruhe, welche die besten Songs von "Every acre" auszeichnen – und wenn es nur kaum zu vernehmende Sitar-Drones wie im famosen "Big love" sind. Das intensivste und wuchtigste Stück heißt "Turpentine". An Wilcos "A ghost is born" erinnernde Gitarren-Schredder wühlen den Morast auf, durch den sich McEntire gemeinsam mit Amy Ray von den Indigo Girls kämpft, während sie darauf verweisen, dass die unter den Füßen schlummernden Geschichten nicht immer die eigenen sind: "We can tend the land for a little while / Bones of those benath the boundary lines."

In eine noch bluesigere Kerbe schlägt "Soft crook", das sich am Körper der Geliebten berauscht, bis es Engel sieht. McEntire stellt christliche Symbolik und die Kanalisierung der eigenen Homosexualität direkt nebeneinander, ohne dass es gezwungen subversiv wirkt – weil es von ihrem "acre" aus eben auch keine Widersprüche sind. "Dovetail", eine Piano-Hymne, die klingt, als hätten sie Familien in den Siebzigern auf dem Weg zur Kirche im Autoradio hören können, beobachtet unterschiedliche Frauentypen: manche strenggläubig und zurückhaltend, andere auf der alkoholbetankten Suche nach der nächsten Ekstase, und allen bringt die Erzählerin die gleiche Hingabe entgegen. Im Schlussdoppel des Albums nimmt die emotionale Dichte etwas ab. "Wild for the king" schlingt als atmosphärisches Experiment Slide-Gitarren, Doppel-Vocals und Momente der Stille um einen Zeitlupen-Beat, bevor "Gospel of a certain kind" den Minimalismus des Eröffnungsstücks zurückbringt. Man starrt auf das in nostalgisches Rot getauchte Cover-Foto und meint, die Konturen würden langsam verschwimmen – doch die in den Feldern und Flussufern vergrabenen Schätze hat die versierte Geo-Biografin schon längst ausgehoben.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Turpentine (feat. Amy Ray)
  • Rows of clover
  • Big love

Tracklist

  1. New view
  2. Shadows (feat. S.G. Goodman)
  3. Turpentine (feat. Amy Ray)
  4. Dovetail
  5. Rows of clover
  6. Big love
  7. Soft crook
  8. Wild for the king
  9. Gospel of a certain kind
Gesamtspielzeit: 36:33 min

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Armin

2023-02-08 20:46:19- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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