Ladytron - Time's arrow
Cooking Vinyl / IndigoVÖ: 20.01.2023
Seventeen again
Der "arrow of time" oder auch "time's arrow" beschreibt ein vom Astrophysiker Sir Arthur Eddington entwickeltes Konzept der Asymmetrie von Zeit. Dass Zeit immer nur in eine Richtung verläuft, sorgt für zahlreiche Konsequenzen und offene Fragen auf den Ebenen der Thermodynamik, Kosmologie, Psychologie … zisch! Sorry, der Hirndampf musste einmal raus. Ganz schön viel, was in den zwei Titelworten von Ladytrons siebtem Album drinsteckt, doch freilich muss man im Leben noch kein Physik- oder Philosophieseminar besucht haben, um Zugang dazu zu finden. Wie schon auf dem grandiosen selbstbetitelten 2019er-Comeback verfolgt die britische Band in erster Linie ein Ziel: all den in ihrer knapp zehnjährigen Abwesenheit von ihnen beeinflussten Acts à la Chvrches oder Austra zu zeigen, wer trotz verkopfter Konzepte und Image-Flirtereien die Elektropop-Hosen mit den größten Hooks in den Taschen anhat. Womit Ladytron, die damals schnell in die Electroclash-Schublade gestopft wurden, weil sie Anfang der Nullerjahre irgendwas mit Synths machten, nebst den ob ihrer Stilvielfalt sogar noch weniger reinpassenden Goldfrapp die relevanteste Vertretung einer Bewegung bleiben, der sie nie wirklich angehörten.
Inzwischen sind die vier Bandmitglieder über drei Kontinente verteilt, was vielleicht erklärt, warum sich die im Opener besungene "City of angels" der klaren Verortung entzieht. "Mercury vapour over continent shelf" oder "Halogen sun sets over asphalt museum", lauten die kryptischen Orientierungsversuche, während der Song selbst überhaupt nicht verloren im Rausch von Drumcomputer und Tasten seine Richtung kennt: geradeaus in jedes Synthpop-Herz. "Faces" lässt als noch dringlicherer Euro-Disco-Banger die Mystik wieder weg, um seine Lyrics einzig als melodische Tragfläche zu nutzen. Helen Marnies ätherische Vocals um handfest pumpende Glaskonstrukte stürmen zu lassen, bleibt Ladytrons Arjen-Robben-Move, der auch in der x-ten formvollendeten Wiederholung nichts von seinem gleichzeitig kühlen wie einnehmenden Kristallglanz einbüßt.
Am besten macht es in dieser Hinsicht "Misery remember me", das durch seinen strahlend grauen Shoegaze- und Gothic-Schleier unbeschreibliche Sehnsüchte artikuliert. In diesem Eröffnungstrio kann "Time's arrow" noch locker mit seinem meisterhaften Vorgänger mithalten, danach sackt es auf hohem Niveau ein bisschen ab. Ladytron gehen minimalistischer als zuvor zu Werke, verzichten auf obskur-inspirierte Gäste wie Sepultura-Drummer Igor Cavalera und fügen ihrer Palette zum ersten Mal seit "Velocifero" keine wesentlich neuen Farben hinzu. Im Angesicht des auch in den weniger gloriosen Momenten sehr guten Songwritings und der stets detailreichen Produktion ist das jedoch kein nennenswerter Kritikpunkt – zumal Marnie und Co. in für ihre Verhältnisse sparsamen 41 Minuten dem Autopiloten auch nicht mehr auflasten, als er ohne nervenzehrende Längen ins Ziel bringen kann.
Im Schlussdrittel fliegt die Platte dann auch die Ränder von Ladytrons Hoheitsgebiet ab. Der choral wogende Stimmungsfänger "Sargasso Sea" fließt geografisch unkorrekt in "California": Entgegen seines Hollywood-Sonne assoziierenden Titels ist es ein nachtschwarzer Leidensreigen, der mit Gated Drums und klagender Gitarre instrumental auch The Cure zu "Disintegration"-Zeiten gestanden hätte. Das von Mira Aroyo gesungene Titelstück zieht den Vorhang schließlich als verzerrt groovender Weltuntergangs-Chanson ganz zu. "Time waits for no one", sang Marnie zuvor in "The dreamers", doch ihre Band scheint von jeglichen Altersprozessen unberührt – weswegen es auch kaum überrascht, dass aufgrund irgendeines Social-Media-Wurmlochs der "Light & magic"-Hit "Seventeen" im Jahr 2021 plötzlich wieder in aller viralen Munde war. Was hätte Sir Arthur Eddington eigentlich zu TikTok gesagt? Pardon, es raucht schon wieder.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Faces
- Misery remember me
- California
Tracklist
- City of angels
- Faces
- Misery remember me
- Flight from Angkor
- We never went away
- The night
- The dreamers
- Sargasso Sea
- California
- Time's arrow
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Gave Dahan
2023-01-21 14:39:36
Nicht ganz so catchy wie früher, aber immer noch sehr sehr gut.
peter73
2023-01-12 10:45:44
yeah, ladytron. immer gerne :)
vö 20. 1.
hmm, da muss ich wohl youtube bemühen um mal einen ersten eindruck zu bekommen.
Armin
2023-01-11 20:16:09- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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