Jupiter Jones - Die Sonne ist ein Zwergstern

Mathildas und Titus / Rough Trade
VÖ: 30.12.2022
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Oh, hätt ich Dich verloren

Nicholas Müller hat viel durchgemacht. Etwa, als er sich nach Jahren des inneren Kampfes mit sich und seinem Umfeld endlich seinen Ängsten stellte. Als er im Jahr 2013 dabei auch seine Band, seine Jugendfreunde, sein Ein und Alles, sprich Jupiter Jones, hinter sich lassen musste. Um zu sich zu finden. Über diese Erfahrungen hat Müller ein Buch geschrieben, Lesungen und Vorträge zur Aufklärung gegeben, zur öffentlichen Debatte über psychische Erkrankungen beigetragen. Und immer mal wieder auch Songs geschrieben. Ganz auszutreiben ist dem Kreativkopf diese Leidenschaft zum Glück nicht. Nicht bloß all den treuen Jupiter-Jones-Fans, die die Band schon seit 2002 begleiten, hätte so vieles gefehlt. Auch der deutschen Radio-Pop-Landschaft, welcher Jupiter Jones mit "Still" ihren sicherlich besten Moment der 2010er-Dekade schenkten.

Während der Stille in der Pandemie, als viele sich erstmals seit Jahren mit sich selbst beschäftigten, sich zurückzogen, fanden Müller und Gründungsmitglied Sascha Eigner musikalisch wieder zusammen. Die Band Jupiter Jones, zwischenzeitlich genauso Geschichte wie Müllers Projekt Von Brücken, ward wiedergeboren. All die gemeinsamen Jahre, die Erfahrungen spülten die immer bestehende Symbiose der beiden schnell wieder an die Oberfläche. Kreatives entstand, zunächst im Duett. Das tolle "Überall waren Schatten" teilt intime Eindrücke aus der schweren Zeit einer Band auf dem Scheideweg zwischen Punkrock-Vergangenheit, Chart-Hit-Erwartungen der Plattenfirma und inneren Kämpfen nun mit den Hörer*innen. Vollumfängliches Zeugnis ist das siebte Studioalbum "Die Sonne ist ein Zwergstern" mit einem ungewöhnlichen Erscheinungstermin Ende Dezember.

Fragen nach dem Warum, also ob man das Alleinstellungsmerkmal dieses 'Geburtstermins' wählte oder ob möglichst wenige Menschen im Vaakum namens "Zwischen den Jahren" davon mitbekommen sollten, sind obsolet. Denn das Album startet auch mit "Melatonin" durch merklich intensives Drücken auf die Magengrube: Das Geschehene verarbeiten, sich verzeihen, mit manchem abschließen. "Ich hab' Arme gebrochen / Die einfach niemals jemanden halten / Ich hatte all die Zeit das 'Wie?' und das 'Warum?' verloren / Und die größte Frage in meinen Ohren / 'Krieg ich's hin, mich an mir selber zu messen?'" Das geht lyrisch nich nur ans Eingemachte, sondern war, ist und bleibt in einer ziemlich hohen Liga.

Das intime, gefühlsgeladene "Atmen" schmiegt sich seit Monaten bereits in die Ohren, offenbart wie "Der Nagel" erneut Müllers Fähigkeit, wunderbar gefühlige Musik zu schreiben, die nicht kitschig, sondern nahbar und gleichzeitig intelligent daherkommt. Ähnliches gilt für "Der wichtigste Finger einer Faust", der kindliches Empfinden und Erleben mit starren gesellschaftlichen Normen, daraus resultierenden Pflichten und der rebellischen Antwort darauf zwinkernd versöhnt. Auch "Mein Viel und Dein Vielleicht" geht nah und stellt unangenehme Fragen, verarbeitet aber vorbildlich erwachsen. Muss ja. Und entlockt hintenraus zu zart hereinschleichenden Bläsern sogar ein Grinsen.

Mit Stücken wie "Wenn's nicht weh tut", "Vielleicht" und "Oh, Philia!", die etwas zu sehr mit Keyboards und Drumbeat verspachtelt sind, rücken Jupiter Jones in Sachen Arrangements dann leider nah ran an das zurecht als seelenloser Einheitsbrei wahrgenommene Menschen-Leben-Tanzen-Welt-Genre. Alten Wegbegleitern, zu denen auch der Rezensent sich glücklicherweise zählen darf, fällt hier die Vergangenheit mit all ihren wilden Punkrock-Momenten mit Jupiter Jones auf die Füße. Wer sich davon mehr freimachen kann, der wird auf "Die Sonne ist ein Zwerstern" viel für sich entdecken können. Beide Gruppen freuen sich über die tollen Momente dieser Platte, über Geschichten vom Fallen und Aufstehen. Oder schlicht darüber, dass die Herren Müller und Eigner, dass Jupiter Jones wieder da sind. Die bittersüße Vergangenheit im Nacken und die Zukunft im Blick, bleibt an dieser Stelle noch ein alter, aber weiser Rat, den uns einst eine gewisse Eifelaner Punkband spendierte:

"Gerad' deswegen / Auf das Leben!"

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Überall waren Schatten
  • Melatonin
  • Atmen

Tracklist

  1. Überall waren Schatten
  2. Melatonin
  3. Atmen
  4. Mein Viel und Dein Vielleicht
  5. Ja, sicher
  6. Wenn's nicht weh tut
  7. Der Nagel
  8. Der wichtigste Finger einer Faust
  9. Oh, Philia!
  10. Bleibt zusammen
  11. Vielleicht
  12. So hat noch jedes Ende angefangen
Gesamtspielzeit: 36:55 min

Im Forum kommentieren

jo

2023-01-03 19:58:03

Allerdings :).

Z4

2023-01-03 15:55:43

Woke = Neues Ende von Godwin’s law

jo

2023-01-03 15:19:09

Wenn man das Wort "woke" einbringt, ist tatsächlich ziemlich schnell jede Diskussion relativ sinnlos...

S.v.K.

2023-01-03 15:09:49

"Es verletzt nur Gefühle."

Gegen dieses woke Totschlagargument gibt es keine Argumente, daher ist jede Diskussion eigentlich ziemlich sinnlos.

jo

2023-01-03 14:23:20

... Ist es erst, wenn es in beide Richtungen gegangen ist...

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