Haftbefehl - Mainpark Baby

Urban / Universal
VÖ: 02.12.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Azzlacks sterben nie

Natürlich erscheint das Album schon wieder im Winter, aber diesmal ist was anders. Ungewöhnlich leise verabschiedet sich Aykut Anhan vorerst vom HipHop. Sein siebtes Album ist gleichzeitig Startschuss für die Post-Haftbefehl-Ära, epochal eingeleitet durch eine meisterhafte Produktion von Benjamin Bazzazian. Es gelingt hervorragend, die bittersüße Straßenrap-Melancholie früherer Zeiten ein vielleicht letztes Mal neu aufleben zu lassen, doch zum Schwelgen in Erinnerungen bleibt kaum Gelegenheit. "Mainpark Baby" präsentiert Haftbefehl erhabener wie auch menschlicher denn je. Angesichts einiger Negativ-Schlagzeilen der letzten Monate, wie über die abgesagte Tour oder den alkoholbedingten Show-Abbruch in Mannheim, ist dieser absolut würdigen, doch mitunter ausgezehrt wirkenden Platte jede Menge Entlastung anzuhören.

Schon die abwechslungsreichen Feature-Namen deuten an, dass Hafti sich diese Zugabe richtig schmecken lassen will. Beteiligungen etwa von Ufo361 ("Dünner Kanack") oder Soufian ("Chevignon & Classics") waren zu erwarten, Sängerin Paula Hartmann ("Geruch von Koks") weniger. So weit klingt das alles zuverlässig stabil und ergibt ein grundsolides Fundament, nachhaltig erinnern wird man sich später jedoch an andere Momente. Der gemeinsame Song mit Kool Savas und Azad ist beispielsweise nicht nur für Rap-Fans ein großes Geschenk, auch erfüllt sich der heute 37-Jährige mit dem Nachfolger zum legendären "Dann mit der Pumpgun" (2010) selbst einen Traum. Im Closer ("Letzter Track") erfahren wir, dass er früher selbst "KKS & AZ" noch im Pausenhof gerappt hatte. Beide Tracks gehören zu Haftbefehls stärksten Songs der letzten Jahre, vor allem der letzte. Hier gleichen die Instrumentals einem angemessen dramatischen Filmabspann, während Haftbefehl sich lyrisch knapp hält, weil die wichtigste Textpassage für sich spricht: "Zu lange habe ich getanzt mit Dschinn und Geistern / Ich schmeiß' das Mic hin und nimm für meine Kinder Zeit." Noch nie klang er ernster, ganz bewusst zeigt das Albumcover ihn als Baba, kuschelnd mit seinem Sohn.

Als Symbol für den musikalischen Generationenwechsel eignet sich "Kein Respekt" wiederum perfekt. Mit OG Keemo gibt sich der wohl fähigste wie interessanteste Deutschrap-Newcomer der letzten Jahre die Ehre, sein Stamm-Produzent Funkvater Frank ist ebenfalls beteiligt. Auch diese Traum-Combo (Haft & Bazzazian mit Keemo & Frank) hält, was sie verspricht und macht Lust auf viel mehr, ehe sie nach nicht mal drei Minuten leider schon endet. Die Instrumentals sind von höchster Qualität, sie erlauben beiden Rappern viel Raum für deren so markante Stimmen, während sich die dezent, doch platziert einschlagenden Drums sowie die hypnotisierenden Samples im Hintergrund gegenseitig übertreffen. Daneben sticht, mit einem ähnlichen Beat, noch "Die braune Tasche" als energischster Solo-Track hervor. Besonders die Feinheiten, wie kleinere Tempowechsel, unterhaltsame Ad-Lips oder schlichte wie punktgenaue Soundeffekte, hinterlassen hier in Verbindung mit der prägnanten Hook dauerhaft Eindruck und einen vermeintlich letzten Haft-Ohrwurm.

Habt Ihr wirklich gedacht, Haft hat vergessen, woher er kam? Falls ja, einfach "Zu viel gesehen" oder "Immer noch" in die Playlist, und es fühlt sich zumindest für ein paar Strophen an wie früher. Letztgenannter Track arbeitet mit den typischsten Storytelling-Elementen, welche aufzubieten sind. Ob Kokshandel (auch auf dieser Platte das dominierende Thema), die apokalyptische Kulisse Offenbacher Hochhaussiedlungen ("Der Azzlack macht mit weißen Steinen Schnapp / Offenbach am Main hat von Gotham ein'n Touch") oder gelungene Kampfsport-Referenzen ("Offenbach fliegen Fäuste / Cho, Óscar de la Hoya / Ich sitz' im nagelneu'n schwarzen Roycer / Am Steuer und fahr' Richtung Höll'nfeuer"), alles wieder dabei, nur die Wucht hat nachgelassen. Weniger gelungen funktionieren die alten Erfolgsformeln dagegen bei "PIMP", "Haft betritt den Raum" und "Fick ich drück ich sniff ich". Die unnötigen Pascha-Lines wirken erzwungen provokant, die Tracks an sich halten gegenüber den zehn anderen auch nicht mit.

Doch die Wermutstropfen trüben dieses Abschiedsalbum nur gering, im Fokus steht die Legacy eines Musikers, der sich für die deutsche Musikwelt unsterblich gemacht hat. Seit der Jahrtausendwende ist in Aykut Anhans Leben genug für mehrere passiert: Vom Schulabbruch, Jugendknast und Flucht ins Ausland zu den ersten Rap-Texten im Wettbüro, Sommernächten in Offenbach und dem ersten Plattenvertrag. Von da aus zum eigenen Label, Chart-Erfolgen und Lobeshymnen im Feuilleton oder intellektuellen Kulturmedien. Heute ist Haftbefehl seit Jahren verheiratet, Familienvater und erfolgreicher Geschäftsmann, zum Beispiel mit eigenen Eistee-Sorten oder E-Zigaretten, gefühlt für immer reich. Der vorzeitige Rap-Ruhestand sei ihm ohne Diskussion zu gönnen, vielleicht wurde es sogar langsam Zeit. Trotzdem nicht auszuschließen, dass Hafti eines Tages plötzlich aus dem Nichts wiederkommt, so wie einst alles begann.

(Maximilian Baran)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Die braune Tasche
  • Dann mit der Pumpgun 2.0 (feat. Azad & Kool Savas)
  • Kein Respekt (feat. OG Keemo)
  • Letzter Track

Tracklist

  1. Geruch von Koks (feat. Paula Hartmann)
  2. Die braune Tasche
  3. Zu viel gesehen
  4. Dann mit der Pumpgun 2.0 (feat. Azad & Kool Savas)
  5. Haft betritt den Raum
  6. Chevignon & Classics (feat. Soufian)
  7. Kein Respekt (feat. OG Keemo)
  8. Dünner Kanack (feat. Ufo361)
  9. PIMP (feat. KALIM & Nimo)
  10. Fick ich drück ich sniff ich
  11. Kalt & dreckig
  12. Immer noch
  13. Letzter Track
Gesamtspielzeit: 37:17 min

Im Forum kommentieren

Christopher

2022-12-23 08:17:46

Im Prinzip ist das hier wie "Azzlack stereotyp" nur von der anderen Seite.

Armin

2022-12-21 20:43:17

Danke, ist korrigiert.

captain kidd

2022-12-21 20:40:45

Schöne Rezi auch...

Z4

2022-12-21 20:24:25

Wertung und Überschrift passt, aber falscher Link.

Armin

2022-12-21 20:13:25- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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