Helene Fischer - Rausch (live)

Polydor / Universal
VÖ: 21.10.2022

Das Hörspiel

Was hatte das Jahr 2022 zu bieten, worauf man sich hätte freuen können? Ein neues Album von The Cure? Hoffentlich im nächsten Jahr. Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar? Mitnichten. Das größte Konzert seit öffentlich-rechtlichem Menschengedenken zum umfangreichsten Album von Helene Fischer? Für mehr als 130.000 Besucher: auf jeden Fall. 2021 brauchte es zwei CDs, um den "Rausch" einzufangen und mindestens vier Nervenkostüme, um ihn durchzuhalten. Nun also ein Live-Album zu DEM Konzert in München: 24 Lieder und knapp unter zwei Stunden Spielzeit bieten und verlangen einiges. Ein Querschnitt des Œuvres von Helene Fischer wird hier abgedeckt. Von den Volkfesttagen (in zwei handlichen Medleys zusammengefasst) hin zum Kabinensoundtrack der Nationalmannschaft (die Alben "Farbenspiel" und "Helene Fischer") und natürlich zum erwähnten Post-Florian-Silbereisen-Opus-Magnum "Rausch".

Schlager hat vor allem im Studio die Angewohnheit, in der Rhythmussektion recht abwechslungsarm zu sein. Ein Viervierteltakt, um sie zu knechten, ist hier oftmals das Motto, oder Klammerblues. In der Live-Umsetzung, mit echten Menschen an den Instrumenten statt des Magix Music Makers, gewinnen die Lieder zwar nicht an Tiefe, aber durchaus an Abwechslung. Insbesondere die frühen Werke erhalten durch die "richtige" Band im Hintergrund deutlich mehr Drive. Ein Kleinod wie "Ich will immer wieder...dieses Fieber spüren" verlässt auf diese Weise das doch recht enge Schlager-Korsett. Die Live-Versionen überraschen darüber hinaus die Hörer*innen ein um das andere Mal. Zum Beispiel dient U2s "Where the streets have no name" als Intro zu "Phänomen" oder Michael Jacksons "Dirty Diana" gibt sich in "Atemlos durch die Nacht" die Ehre. Auf diese Art und Weise werden gleich mehrere Ziel- und Altersgruppen innerhalb von wenigen Sekunden abgeholt.

Live-Alben sind immer schon ein zweischneidiges Schwert gewesen, ist es doch ihr Ziel, die Atmosphäre eines Konzertes möglichst originalgetreu einzufangen, ohne dabei die Fähigkeiten von Band/Künstler*in zu vernachlässigen. Um das zu erreichen, bedarf es mehr als ein Mikrofon, das das Klatschen und Jubeln des Publikums aufnimmt. Helene Fischer hat hier eine Sache mit Bands wie Rammstein oder Slipknot gemeinsam: Ihre Konzerte sind zum großen Teil auch optische Ereignisse. Tänzer, Akrobatik und (gefühlt) mindestens 20 verschiedene Outfits. Die Aufnahme bietet, abgesehen von den kleinen musikalischen Überraschungen, allerdings nur diverse "Geht es Euch gut?"s (regelmäßig), "Whoo"s (sehr oft) oder das Geräusch von Feuerfontänen gefolgt vom jubelnden Publikum, um die Stimmung rüberzubringen. Für alle, die es brauchen, gibt es "Rausch (live)" natürlich auch als DVD oder Blu-Ray. Ansonsten gilt: Ein Helene-Fischer-Konzert auf CD zu bannen, gleicht dem Versuch, einen Film wie "Avatar" in ein Hörspiel zu übersetzen: Vorstellen kann man sich vieles, aber die künstlerische Vision bedarf der Unterstützung eines optischen Mediums, um sich voll und ganz zu entfalten.

(Thomas Verkamp)

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