The Beatles - Revolver (Super deluxe)

Apple / Universal
VÖ: 28.10.2022
Unsere Bewertung: 10/10
10/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Schau in den Lauf der Geschichte, Hase

"We're more popular than Jesus now", bemerkte John Lennon schnippisch in einem Interview, das die Zeitung The Evening Standard im März 1966 abdruckte. Wer wollte ihm schon widersprechen? Stars wie die Beatles hatte man zu der Zeit vorher nicht gesehen. Das Quartett aus Liverpool setzte jedoch nicht nur kaum erreichbare Maßstäbe in Sachen Popularität, sondern revolutionierte mal eben die Popmusik innerhalb von nur sieben Jahren Aktivität. Kein Album steht dabei so für diese unumkehrbare Entwicklung wie ihre siebte Platte "Revolver", veröffentlicht Anfang August 1966, wenige Monate nach obigem Zitat. Der Trubel der Liveauftritte ermüdete die Band, engte sie ein, sodass sie im gleichen Jahr die letzte Tour absolvierten und stattdessen den Fokus voll und ganz auf die Studioarbeit legten. Der Vorgänger "Rubber soul" hatte unter der folkigen Oberfläche bereits viel Lust zum Experimentieren. "Revolver" stellte den Drang zum Neuem noch viel weiter nach vorne. Es wäre unmöglich gewesen, diese Songs einfach live zu performen.

Paul McCartney sagte mal: "When asked what our formula was, John and I said that if we ever found one, we would get rid of it immediately." In der vorliegenden "Super deluxe"-Edition hört man dies vor allem in den zahlreichen Demo-Takes, die auf CD zwei und drei festgehalten sind. Am erhellendsten ist dabei sicher die trüb-folkige frühe Lennon-Fassung von "Yellow submarine", völlig ohne den überdrehten Singalong, der das Stück zum Meinungsspalter auf der Platte macht. Hörenswert sind die alternativen Versionen aber auch dann, wenn sie langsam den finalen Song aus seinen Einzelteilen aufbauen wie die Metamorphose bei "She said she said" von Lo-Fi-Schrammelei zu psychedelischem Rock – oder wenn die Band wie bei "And your bird can sing" mit charmantem Gegiggel eine Aufnahme verhunzt und dabei mächtig Spaß hat. Keine dieser Fassungen ist besser als das, was am Ende "Revolver" als Album formt, aber aus historischer Perspektive macht es viel Laune, zur Wurzel zurückzublicken.

Schließlich sind die 14 Stücke hauptsächlich Kreationen des Studios, welche erst dort wirklich geformt wurden und ihre Evolution durchliefen. Die Sessions dauerten äußerst lang, verschlissen deutlich mehr Geld als alle Alben zuvor – und natürlich hat sich jeder Penny davon am Ende ausgezahlt. Das Bemerkenswerte an "Revolver" ist, dass es trotz allem kein Konzept braucht, keine vinylseitenfüllende Suite, es ist auch kein Doppelalbum, sondern mit rund 35 Minuten Spielzeit bleiben die Songs wie auf den simplen Frühwerken kurz und knapp. Die Drei-Minuten-Grenze wird nie überschritten, wodurch die Stücke noch dichter mit Ideen gefüllt wirken, als sie es ohnehin schon sind. Das überlebensgroße und traurige "Eleanor Rigby" rührt ausschließlich mit einem Streicherquartett und den Vocals der Beatles zu Tränen. Es dient als Kontrast zum rockigen Opener "Taxman", das einen bis dahin nie so aggressiv tönenden Gitarrensound durch den Song fräsen lässt.

"Revolver" streckt sich in alle Richtungen zugleich und wird zusammengehalten von der schieren Effektivität der Kompositionen. Nirgendwo geht die Experimentierfreude zu Lasten des Songwritings. "I want to tell you" taumelt sich herrlich immer wieder in seine Hi-Hat-Attacken, während das Klavier alles lässig kommentiert. McCartneys "Here, there and everywhere" streichelt die Seele mit zarten Sounds, nachdem "Love you to" George Harrisons Interesse an indischer Musik in ein hypnotisches Gewand steckt. Unvergessen ist auch die in den gleichen Sessions entstandene Single aus "Paperback writer" und dem besonders tollen "Rain", welche kurioserweise am Ende der Edition auf einer eigenen CD enthalten ist. Und natürlich muss Lennons "Tomorrow never knows" erwähnt werden, ein unbeschreiblich packender Mahlstrom an Effekten, Sounds und Vocals, selbst für "Revolver" ein Song ganz weit draußen, der wohl auf ewig wie eine Transmission aus der Zukunft klingen wird.

Wie schon die Neuabmischungen anderer Beatles-Alben aus den letzten Jahren klingt auch der frische Stereomix von Giles Martin besser als alle bisherigen Fassungen. Der Unterschied ist nicht so riesig wie bei "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band", aber schafft dennoch ein hörbar klareres und kraftvolleres Update, welches deutlich mehr Details in die Ohrmuschel bringt. Als Kontrast dazu enthält das Boxset auch den originalen Mono-Mix, welcher naturgemäß direkter und punchiger klingt, was vor allem den schnelleren Songs zugute kommt, aber die Detailverliebtheit im Vergleich vermissen lässt. Am Ende ist "Revolver" allerdings in jeder Variante ein noch heute in Staunen versetzendes Jahrhundertwerk. Wenige Alben haben den Lauf der Musikgeschichte so maßgeblich geprägt wie dieses – und wenige von diesen machen zugleich immer noch so viel puren Spaß.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Eleanor Rigby (2022 mix)
  • I'm only sleeping (2022 mix)
  • I want to tell you (2022 mix)
  • Tomorrow never knows (2022 mix)
  • Yellow submarine (Songwriting work tape / Part 1)
  • And your bird can sing (Mono)
  • Rain (2022 stereo mix)

Tracklist

  • CD 1
    1. Taxman (2022 mix)
    2. Eleanor Rigby (2022 mix)
    3. I'm only sleeping (2022 mix)
    4. Love you to (2022 mix)
    5. Here, there and everywhere (2022 mix)
    6. Yellow submarine (2022 mix)
    7. She said she said (2022 mix)
    8. Good day sunshine (2022 mix)
    9. And your bird can sing (2022 mix)
    10. For no one (2022 mix)
    11. Doctor Robert (2022 mix)
    12. I want to tell you (2022 mix)
    13. Got to get you into my life (2022 mix)
    14. Tomorrow never knows (2022 mix)
  • CD 2
    1. Tomorrow never knows (Take 1)
    2. Tomorrow never knows (Mono mix RM 11)
    3. Got to get you into my life (First version / Take 5)
    4. Got to get you into my life (Second version / Unnumbered mix)
    5. Got to get you into my life (Second version / Take 8)
    6. Love you to (Take 1)
    7. Love you to (Unnumbered rehearsal)
    8. Love you to (Take 7)
    9. Paperback writer (Takes 1 & 2 / Backing track)
    10. Rain (Take 5 / Actual speed)
    11. Rain (Take 5 / Slowed down for master tape)
    12. Doctor Robert (Take 7)
    13. And your bird can sing (First version / Take 2)
    14. And your bird can sing (First version / Take 2 / Giggling)
  • CD 3
    1. And your bird can sing (Second version / Take 5)
    2. Taxman (Take 11)
    3. I'm only sleeping (Rehearsal fragment)
    4. I'm only sleeping (Take 2)
    5. I'm only sleeping (Take 5)
    6. I'm only sleeping (Mono mix RM 1)
    7. Eleanor Rigby (Speech before take 2)
    8. Eleanor Rigby (Take 2)
    9. For no one (Take 10 / Backing track)
    10. Yellow submarine (Songwriting work tape / Part 1)
    11. Yellow submarine (Songwriting work tape / Part 2)
    12. Yellow submarine (Take 4 before sound effects)
    13. Yellow submarine (Highlighted sound effects)
    14. I want to tell you (Speech & take 4)
    15. Here, there and everywhere (Take 6)
    16. She said she said (John's demo)
    17. She said she said (Take 15 / Backing track rehearsed)
  • CD 4
    1. Taxman (Mono)
    2. Eleanor Rigby (Mono)
    3. I'm only sleeping (Mono)
    4. Love you to (Mono)
    5. Here, there and everywhere (Mono)
    6. Yellow submarine (Mono)
    7. She said she said (Mono)
    8. Good day sunshine (Mono)
    9. And your bird can sing (Mono)
    10. For no one (Mono)
    11. Doctor Robert (Mono)
    12. I want to tell you (Mono)
    13. Got to get you into my life (Mono)
    14. Tomorrow never knows (Mono)
  • CD 5
    1. Paperback writer (2022 stereo mix)
    2. Rain (2022 stereo mix)
    3. Paperback writer (Mono)
    4. Rain (Mono)
Gesamtspielzeit: 162:20 min

Referenzen

John Lennon
Paul McCartney
George Harrison
Ringo Starr
Wings
The Zombies
The Rolling Stones
The Kinks
Electric Light Orchestra
The Byrds
Gram Parsons
The Beach Boys
The Small Faces
The Monkees
The Hollies
Love
The Who
T. Rex
XTC
Crowded House
Myracle Brah
Cotton Mather
The Magnetic Fields
Oasis
Liam Gallagher
Noel Gallagher's High Flying Birds
Primal Scream
Kula Shaker
Super Furry Animals
King Gizzard & The Lizard Wizard
Tame Impala
Heavy Stereo
The Bluetones
Hurricane #1
Northern Uproar

Spotify

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