Warhaus - Ha ha heartbreak

PIAS / Rough Trade
VÖ: 11.11.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Eros in Sizilien

Maarten Devoldere sah schon immer aus, als wäre er gerade eben noch unter den Augen von Godard oder Truffaut durch ein Schwarzweiß-Paris gehetzt, jetzt geht er in der Ästhetik voll auf: Mit Kippe im Mund und lockerem Sommerhemd blickt er aus einem Albumcover heraus, das einer 50, 60 Jahre alten Zeitkapsel entstammen könnte. Auf "Ha ha heartbreak" steht wie immer die Liebe im Fokus, diesmal in ihrer Abwesenheit. In ein sizilianisches Hotelzimmer hat sich der Balthazar-Frontmann verkrochen, um Ex Sylvie Kreusch hinterherzutrauern, die auf seinen ersten zwei Solo-Platten als Warhaus noch Hintergrundgesang beisteuerte. Da kann er im famosen Opener "Open window" noch so oft wie ein belgischer Aidan Moffat "It's in the future we belong" beteuern, die Vergangenheit sitzt mit mehr als nur einer Träne im Knopfloch. Wenn in der zweiten Track-Hälfte Streicher, Piano und Männerchor ihr eigenes wortloses Lied anstimmen, zieht es die Vorhänge eh so fest zu, dass keine noch so überzeugte Selbstlüge sie aufreißen könnte.

Es sind diese opulenten, vielschichtigen Arrangements, die in Sachen Ausdruckskraft die Leerstellen ausfüllen, die Devolderes monotones Genuschel zuweilen zulässt. Das Album nutzt die originalen Gesangsaufnahmen aus dem Hotelzimmer in Palermo, weswegen man ganz genau hinhören muss, um ihre emotionale Topografie zu erfühlen – weswegen es aber auch besonders intim und roh klingt, wenn die Stimme mal ausbricht, wie am Ende von "Time bomb", welches das verehrte "baby" und "honey" als tickende Femme Fatale in Szene setzt. Doch Verzweiflung ist keineswegs die Konstante einer Platte, die mit ihren sanften, aber unermüdlichen Grooves souligen Optimismus verbreitet, die Distanz zur Verlorenen per Hüftschwung zu überbrücken versucht. "When I am with you" stellt mit von handgespielter Percussion und soften Licks abgetrocknetem Soft-Rock schon früh die Frage in den Raum, warum man mit Leonard Cohen in der dunklen Kammer abstürzen soll, wenn man auch mit Barry Manilow an der Pool-Bar sitzen kann.

Dass selbst das sonnigste mediterrane Idyll Herzen nicht vor der Erosion bewahren kann, weiß auch, wer "Call me by your name" noch nicht gesehen hat. Doch "Ha ha heartbreak" kittet die meisten Löcher so zu, dass man die Bruchstellen gar nicht mehr sieht. Kreuschs Fehlen macht sich musikalisch kaum bemerkbar, was fasziniert, weil ihr Gesang für die Vorgänger so essenziell war und Devoldere auf einen anderen weiblichen Konterpart verzichtet – zu früh, wahrscheinlich. Als Hörer*in ist man wohl zu sehr damit beschäftigt, die Dynamik, die stilistischen Variationen dieses Chanson-nahen Lounge-Pops nachzuverfolgen und sich etwa zu fragen, ob der Ausraster am Ende des am Kontrabass torkelnden "It had to be you" schon als Free-Jazz durchgeht. Eine ähnlich intensive instrumentale Zuspitzung mit zitternder Gitarre und Bläser-Paranoia liefert das besonders stimmungsvolle "Shadow play", das an dEUS erinnert, neben Balthazar die noch bekanntere belgische Band, die nationalen Charts-Erfolg mit Kunstanspruch verbindet.

Das moderner klingende "I'll miss you baby" hebt sich von den Sepia-Tönen des sonstigen Albums ab, evoziert gar Radiohead, wenn Devoldere seinen Gemütszustand die höchsten Thom-Yorke-Gipfel hinunter schreit: "There's the gun shot / There's the wound still hot / There's the pain, that pain, oh man / How it's driving me crazy." Das ist in seiner unsubtilen Unpoesie jetzt nicht gerade Yeats, aber schmerzvoll in seiner entlarvenden Geradlinigkeit. Im unablässigen Gerichtetsein auf das abwesende Du offenbaren sich bei Warhaus immer die Tiefen des Ichs. Deshalb ist auch der finale Satz der abschließenden Tribal-Ballade "Best I ever had" bezeichnend. "To be your man was something I could not", bekennt der Eros ohne Psyche in einem letzten erschöpften Flüstern, ganz außer Atem.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Open window
  • Time bomb
  • Shadow play

Tracklist

  1. Open window
  2. When I am with you
  3. It had to be you
  4. Time bomb
  5. Desire
  6. I'll miss you baby
  7. Mondello's melody
  8. Batteries & toys
  9. Shadow play
  10. Best I ever had
Gesamtspielzeit: 40:06 min

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Hoschi

2023-05-20 18:30:47

Großes Album, nachwievor!
Am besten auf einem Nachtspaziergang(hör das immer auf dem 50min Heimweg von meiner Stammkneipe nach Hause)genießen.
9/10

VelvetCell

2023-05-20 17:53:13

"Open Window" hat sich so massiv in meine Hörgänge gebrannt. Habe ich mir mal auf eine Playlist gepackt und ich freue mich jedes Mal wie ein Schneekönig, wenn der Song kommt. Ich sollte jetzt wirklich dem ganzen Album eine echte Chance geben.

Robert G. Blume

2022-12-13 13:49:15

Wieder wunderschön. Ich liebe diesen Sound so.

Kalle

2022-12-04 08:22:21

Wieder mal ein wunderbares Album!

Armin

2022-11-30 21:37:10- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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