Selina Martin - Time spent swimming

Selma / Outside
VÖ: 25.11.2022
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Stabile Schräglage

So ein Sofa ist sehr bequem, wenn es nicht wackelt. Man kann dort wunderbar die gegenüberliegende Wand anstarren, sich in Textilien einwickeln und dem Alltag entfliehen. Aber wie der erste Nebensatz dieser Rezension schon andeutet, muss das Möbelstück mit allen vier Beinen auf dem Boden stehen. Sonst stellt sich schnell Unbehagen ein. Dabei ist so ein kleines bisschen Unbehagen hin und wieder sinnvoll. Biedermeier war vorgestern. Selina Martin, eine kanadische Songwriterin, wird sich über die Standfestigkeit von Einrichtungsgegenständen wahrscheinlich kaum Gedanken machen. Ihre Musik stimuliert nämlich das Metaphernzentrum genau dort, wo es kippelt.

Und ja, sie klingt schräg. Das liegt vor allem daran, dass Martin zwar eindeutig Popsongs schreibt, diese aber mut- und bereitwillig zerstückelt. Mal sind es überraschende Akkordwechsel, mal fast willkürlich wirkende Breaks, die alle Tagträume zerreißen. Akustische Instrumente bilden meist die Grundlage für Martins Kompositionen, bevor sie den Computer an- und die Bedenken wegwirft. So beginnt beispielsweise "Something wide awake" als zerbrechliche Gitarrenballade, ehe sukzessive die Maschinen die Oberhand gewinnen. Zusammengehalten wird das alles von Martins weicher Stimme, die immer dann erklingt, wenn es nötig ist.

Der Gesang erfüllt dabei meist die Rolle eines Instruments. Besonders "So lo", ein Blues für die Zeit nach der Apokalypse, lebt von wunderschönen Vocal-Harmonien. Auch "Since you're gone" profitiert von der einlullenden Stimme der Protagonistin. Beinahe zärtlich singt sie einige Verse, bevor im Refrain die Sonne aufgeht und die Welt in gleißendes Licht hüllt. Deutlich beschwingter geht es in "Eurydice" zu, das die Sonne durch Neonröhren ersetzt und einfach mal die Sau über die Tanzfläche treibt. Da kann Orpheus seine Lyra einpacken.

Selina Martin arbeitet viel mit Samples, die sie nicht selten bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Nachzuhören ist dies etwa in dem herrlich merkwürdigen "Quarantine", das wie ein verschollener The-Notwist-Remix eines Björk-Songs wirkt. Doch die Kanadierin kann auch Zugängliches schreiben, wenn sie denn in der Stimmung dazu ist. "Tangier" und "If you were a river" sind trotz ihres verqueren Sounds in erster Linie verdammt catchy. "Your face goes long" bringt die Sache schließlich auf den Punkt: Der Song handelt von unerwiderter Liebe und klingt so, als hätte sich Pac-Man im Pillenschrank geirrt. Schrauben lockern und ab dafür.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Tangier
  • Something wide awake
  • Since you're gone
  • Your face goes long

Tracklist

  1. Tangier
  2. Two storeys / The ground
  3. If you were a river
  4. Something wide awake
  5. Quarantine
  6. So lo
  7. Since you're gone
  8. Leopard skin Vespa
  9. Eurydice
  10. Hun-oo
  11. Smile
  12. Your face goes long
Gesamtspielzeit: 38:54 min

Im Forum kommentieren

Christopher

2022-11-26 21:41:59

Ja, es klingt nicht sehr modern, eher nach frühen 2010ern. Das finde ich angenehm. Mag diesen klebrigen Hyperpop-Sound nicht so. Hat halt mehr so nen Lowfi-Sound.

myx

2022-11-26 19:46:52

Nein, kriegt mich leider nicht, wie gehofft. Für mich alles ein bisschen zu bieder und wie nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Und dann wird's halt schnell langweilig.

Christopher

2022-11-26 12:46:30

Hausswolff ist schon eine eher entfernte Referenz, aber Newsom-Anleihen gibt es. Die Musik ist schwer einzuordnen. Björk würde ich auf jeden Fall als wichtigen Bezugspunkt nennen. Auch Jenny Hval schimmert da immer wieder durch, Martins Musik ist aber weit weniger verkopft.

Randwer

2022-11-26 12:08:06

Da sowohl Newsom als auch von Hausswolff bei den Referenzen auftauchen, werde ich wohl nicht umhin kommen mal reinzuhören.

Christopher

2022-11-26 08:03:38

Höre es gerade nochmal und bin weiterhin sehr angetan. Einfach ein schönes Album.

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