Nickelback - Get rollin'

BMG / Warner
VÖ: 18.11.2022
Unsere Bewertung: 3/10
3/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Cringe-Rock

Ein Geständnis zu Beginn: Als junger Teenager gab es eine kurze Periode, in der der Autor dieser Zeilen eine Vorliebe für Post-Grunge-Bands hatte. Es waren die frühen 2000er-Jahre und eine Welle neuer Rock-Bands eroberte die Charts und CD-Player juveniler EMP-Abonnenten. Nickelback reihten sich auf den selbstgebrannten Samplern nur folgerichtig zwischen Puddle Of Mudds "Blurry", Stainds "It's been awhile" und "Kryptonite" von 3 Doors Down ein. Aus heutiger Sicht mögen all diese Bands ein Graus sein, doch die Songs funktionieren isoliert und für sich genommen teilweise immer noch. Der springende Punkt sind also nicht jene Stücke, an die man heute noch gerne als Erinnerungsartefakte denkt, die man daraufhin hört und bei last.fm – noch so ein Fossil der 2000er! – umgehend aus der Scrobble-Liste löscht. Das Problem an den genannten Bands ist viel eher, dass sie so viele falsche Entscheidungen getroffen, so viel Murks und Blödsinn veröffentlicht haben, dass man sich rückwirkend nur zu gerne von seinen Jugendsünden distanzieren möchte. Wobei Nickelback – so ehrlich müssen wir sein – neben ihren musikalischen Eskapaden immerhin weniger Mist gebaut haben als viele andere Gruppen jener Zeit.

Wir müssen an dieser Stelle aber auch nicht weiter um den heißen Brei reden: Mit ihrem nunmehr zehnten Studioalbum "Get rollin'" bleiben Chad Kroeger und seine Mannschaft im Morast des breitbeinigen Prollrock stecken. Rettung ist nicht in Sicht. Während das Cover möglicherweise sonnige, luftig-leichte Sommersongs verspricht, brettert "San Quentin", erste Singleauskopplung und gleichzeitig Opener, mit Höchstgeschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung: Düster und miesepetrig poltern bollerige Gitarrenriffs durch den Song und treffen auf eine kraftstrotzende Knödelstimme, die hier vergeblich gegen den knochentrockenen Beton-Sound anbrüllt. Nickelback klingen im Jahr 2022 noch eindimensionaler als in der Vergangenheit – und das will etwas heißen. "Skinny little missy" ist in der Folge ein Song über ein toughes Mädchen, das keinen Boyfriend haben möchte und es allen Jungs so richtig zeigt. Bleibt die Frage: Wer braucht eine Selbstermächtigungshymne aus der Feder Chad Kroegers? Aber hey, immerhin gibt es billige Stimmeffekte und ein Gniedelsolo. Das ist dann immerhin auf krude Weise konsequent.

"Those days" steht in der Tradition von Schmuserocksongs wie "Photograph" und "Someday" und verschafft immerhin eine kurze Ruhepause vom omnipräsenten Dicke-Eier-Sound, der sonst auf dieser Platte den Ton angibt. Im Formatradio würde eine solche Nummer nicht weiter negativ auffallen – und das ist vermutlich das größte Kompliment, das man Nickelback aktuell machen kann. "High time" liefert in der Folge nämlich direkt das nächste Lowlight: Hier klingen die Kanadier wie ein Kid-Rock-Abklatsch, den Rednecks beim sonntäglichen Barbecue abfeiern. Nickelbacks Country-Entwurf würde prima als Parodie durchgehen, doch leider meinen sie es wohl bierernst. Autsch! Man möchte sich an den sehr rar gesäten Momenten festnageln, die nicht vor knallharten Riffs, Pathos und peinlichen Lyrics strotzen, an "Tidal wave" etwa, das man sich so oder so ähnlich auch von Incubus vorstellen könnte. Bedauerlicherweise geht die Platte danach mit der triefenden Ballade "Does Heaven even know you're missing?" weiter, einer ziemlich schmalzigen Ballade, die vielleicht für US-amerikanische Krankenhausserien die passende Untermalung liefert. Sonst ist im Grunde kein Szenario denkbar, in dem ein solcher Song funktioniert.

Und das gilt letztlich auch für das gesamte Album: "Get rollin'" ist ein buntes Potpourri an miesen Ideen und noch plumperer Umsetzung. Nickelback haben den Mittelweg aus den Augen verloren, dabei wurden sie genau auf jenem Rock-Mittelstreifen zu globalen Superstars, wenngleich von vielen verhasst und ausgelacht. Die rockigen Nummern gerieren sich zu dumpf, zu brachial, wollen zu sehr mit dem Holzhammer in die Hirne der Hörer, während die Balladen im seichtesten und trübsten Wasser fischen. "Get rollin'" lotet die Extreme aus und ist in letzter Konsequenz also vor allem: ein extrem schmerzhaftes Ereignis. Und als Nostalgie-Trip gänzlich ungeeignet.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Tidal wave

Tracklist

  1. San Quentin
  2. Skinny little missy
  3. Those days
  4. High time
  5. Vegas bomb
  6. Tidal wave
  7. Does Heaven even know you're missing?
  8. Steel still rusts
  9. Horizon
  10. Standing in the dark
  11. Just one more
Gesamtspielzeit: 41:02 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2022-11-22 18:12:35

Seit gestern ist irgendwas anders.

Affengitarre

2022-11-22 18:05:37

Hab gestern direkt nach Hören des Songs eine Whatsapp mit Screenshot der Spotify-Freudesliste geschickt bekommen und wurde gefragt, ob alles ok bei mir sei. :D

Ist denn alles okay bei dir? :D

Peacetrail

2022-11-22 18:04:28

San Quentin fehlt es aber nicht an großen Gesten. Alles drin, was Poser-Rock ausmacht.

Darno Übel

2022-11-22 14:43:35

Ein Furzalbum

The MACHINA of God

2022-11-22 14:34:47

Nee, ich hätte aber fast einen Freund verloren.

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