PVA - Blush

Ninja Tune / GoodToGo
VÖ: 14.10.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Zucken und zicken

PVA sind im Studio von der schnellen Truppe. Es bleibt ihnen auch gar nichts anderes übrig, da die Südlondoner ihre erste Maxi auf Dan Careys Label Speedy Wunderground veröffentlichten und dort Regeln wie "Recording will be done in one day and finish before midnight" oder "There will be no lunch break during recording and mixing days" befolgen mussten. Na dann Mahlzeit. Oder auch nicht. Inzwischen sind Ella Harris, Josh Baxter und Louis Satchell zwar bei der Renommieradresse Ninja Tune untergekommen – ihr erstes Album hatten sie trotzdem binnen zwei Wochen im Kasten. Wozu man wissen muss, dass das Trio einen Gutteil seines Debüts schon vor der Pandemie regelmäßig live spielte und dabei zuweilen mit Factory Floor verglichen wurde, stünde bei diesen Patti Smith am Mikro. Was insofern passt, weil Polyvinylacetat – also PVA – auch in Industrieböden verarbeitet wird und sich auf "Blush" tatsächlich Post-Punk mit säurehaltigem Techno und der Kühle des New Wave beharkt. Und auch sonst gibt es einiges zu verhandeln.

Etwa toxische Männlichkeit, die eigene queere Identität und die Frage, wohin es geht im Leben – siehe das Cover, wo eine Dame zwischen heller und dunkler Seite ganz hin- und hergerissen scheint. Zumindest musikalisch kennt dieses Album aber vor allem eine Richtung: auf den Dancefloor, wo sich der rabiate Einstieg "Untethered" mit dick auftrumpfender Body-Music-Sequenz und enormer rhythmischer Wucht breitmacht. Auch ein Verdienst von Satchell, der als leibhaftiger Drummer die rigiden Elektro-Beats der meisten Stücke potenziert und zusätzlich verwildert. Mitunter bitter nötig, weil Songs wie das mit nur vordergründig leicht getupfter Melodie hantierende "Bunker" oder das roh knarzende "Kim" wiederholt auseinanderzufallen drohen und sich erst mit Verzögerung wieder clubwärts aufrappeln. Entsprechend klagt Harris im kosmisch schwebenden "Hero man" tonlos "Can't eat, can't sleep, can't go to work, can't leave" – und hat der Körper einmal zu zucken begonnen, will man in der Tat gar nicht mehr von der Tanzfläche runter.

Erst recht nicht, wenn PVA ab der Hälfte noch einmal an Schärfe zulegen und nicht nur bei steifen Acid-Lines, sondern auch in stählerner EBM-Umgebung wildern: Der bassige Brecher "The individual" hätte samt Noise-Grundierung seinerzeit auch Genre-Größen wie Nitzer Ebb oder DAF den Schädel ausrasiert, während Baxter für eine seiner beiden Gesangseinlagen auf "Blush" immerhin auf die typischen Aggro-Shouts verzichtet und sich lieber Harris als zweite Stimme dazuholt. Weniger die Muskeln spielen lässt der deutlich luftigere Synth-Klopfer "Bad dad" und wandelt zickig auf den Spuren der US-Kollegen Boy Harsher, die zuletzt auf "The runner" mit dem Achtziger-Hit "Machina" verblüfften. Inmitten dieser meist auf Hochtouren blökenden Pumpstation nahezu reinster Pop, ehe "Transit" zunächst einen androiden Torch-Song andeutet und schließlich in eine Art lärmige Portishead-Umdeutung kippt. Spätestens ab hier sind Begriffe wie Post-Punk, Techno oder gar TripHop obsolet: PVA waren mal wieder schneller. Zum Glück.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Untethered
  • Hero man
  • The individual
  • Bad dad

Tracklist

  1. Untethered
  2. Kim
  3. Hero man
  4. Interlude
  5. Bunker
  6. Comfort eating
  7. The individual
  8. Bad dad
  9. Transit
  10. Seven (feat. Tony Nyoku)
  11. Soap
Gesamtspielzeit: 43:07 min

Im Forum kommentieren

nörtz

2022-12-05 18:17:53

"Hero Man" ist genau mein Fall. Diese Synths...

qwertz

2022-11-03 20:14:54

Hab sie einst über die "Toner"-EP kennengelernt. Mit "Exhaust / Surroundings" befindet sich darauf wohl ihr größter Hit - für alle, die mal über etwas Zugängliches reinschnuppern wollen. "Blush" finde ich auf erste Ohr nicht ganz so zwingend.

Klaus

2022-11-03 13:00:57

Oh, die hatte ich auf dem Zettel und ist durchgerutscht. Wird nachgeholt. Einige Singles gefielen sehr.

peter73

2022-11-03 13:00:10

gefällt gut. dieser industrial-einschlag zusammen mit dem elektropopsound, ja das passt (un)angenehm gut zusammen... ninja tune, sowieso immer eine gute adresse.

Armin

2022-11-02 21:23:13- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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