Archers Of Loaf - Reason in decline
Merge / CargoVÖ: 21.10.2022
Gute neue Zeiten?
Wer in den Neunziger-Jahren mit dem College-Radio sozialisiert wurde, musste nicht allzu lange im Kanal bleiben, um auf Eric Bachmann und seine drei Bandkollegen zu stoßen. Zwar mag ihnen der kanonische Status von Pavement oder Guided By Voices retrospektiv verwehrt geblieben sein, Indie-Hits wie "Web in front" oder "Harnessed in slums" zählen dennoch zu den stärksten Manifestationen jener Bewegung, die als Slacker-Rock in die Presse Eingang gefunden hat. Wobei dieses Label Archers Of Loaf nie so recht anhaften wollte: Zu viel hemdsärmeliger Trotz, zu viel rohe Energie lagen stets in Bachmanns Vortrag, wenn er Gift und Galle über der Szene ausgoss, der er doch angeblich angehören sollte – während die Band mit ähnlich punkiger Schroffheit ihre DIY-Ästhetik proklamierte. Was bleibt, sind zwei starke erste Alben, die allen Freunden schrammeliger Lo-Fi-Gitarrenmusik dringend ans Herz gelegt seien, und die kurz darauf folgende Bandauflösung. Ein gutes Vierteljahrhundert ist die nun tatsächlich her, lediglich unterbrochen von Bachmanns folkigen Solo-Ausflügen. Wer sich angesichts der Originalbesetzung mit Eric Johnson, Matt Gentling und Mark Price nun auf ein Fest nostalgischer Vibes einstellt, wird überrascht sein: "Reason in decline" macht nämlich vieles anders als die erste Phase von Archers Of Loaf.
Ausstellungsstück A: die erste Single "In the surface noise". Die mächtigen Gitarrenakkorde und der Hall auf dem Schlagzeug korrespondieren einwandfrei mit der textlichen Trope von rebellischen Teenagern, die "free to run" und doch voller Unbehagen die post-pandemische Welt vermessen. Da zugleich die Produktion ihr etwas unsauberes Lo-Fi-Gewand aber nicht so ganz ablegen möchte, wirkt es mitunter, als hätten Archers Of Loaf anno 2022 ein eigenes, paradoxes Genre im Blick: Lo-Fi-Stadion-Rock. Auch der Opener "Human" kommt mit hochgereckter Faust und – würde es ihnen das Mixing erlauben – donnernden Klavierakkorden daher, fügt am Ende gar noch Claps im Verbund mit einer noisigen Gitarre hinzu. Bachmann pendelt zwischen Empathie ("In through your wasted eyes I gazed / Old enemies still by your side") und Fatalismus ("It's hard to be human / Only death can set you free") im Angesicht eines Bekannten, der zum Junkie geworden ist. Spätestens mit dem euphorischen "Saturation and light" entsteht der Eindruck, Bootlegs oder Demos der frühen E-Street-Band zu lauschen, verwaschenen Hymnen, denen der einstige Elan ausgegangen ist.
Thematisch etabliert sich rasch die Gesellschaftsdiagnostik eines Landes am Abgrund als Strang, der alle Songs lose miteinander verknüpft. Mal mit apokalyptischem Einschlag wie im zunächst ohne Schlagzeug einsetzenden "Mama was a war profiteer", das sich im Outro etwas zu stoisch wiederholt, mal mit den abgegriffenen Slogans einer Frustration, die keine neuen Wörter mehr kennen will ("Misinformation age"). Musikalisch reichern Archers Of Loaf die Palette bald an: "Screaming underground" liefert pflichtschuldig von störendem Fiepen und durcheinanderhallenden Shouts begleiteten Punk; "Aimee" startet vielversprechend mit zarten Arpeggien und flirrenden Leads, bevor sich auch hier ausschweifende "Ooh"-Chöre viel Zeit lassen.
"Reason in decline" ist seinem Namen entsprechend das Dokument eines Konflikts geworden, einer Gegenwart, in der Bachmanns enges Ringen mit dem Zynismus umso härter treffen könnte. "War is wide open" beschließt dann auch als sich auftürmende Klavierballade das Album, scheint sich als emotionaler Höhepunkt aufdrängen zu wollen. Bezeichnenderweise sind es jedoch gerade die Momente, in denen die große Geste vermieden wird, die wirklich überzeugen. Der freundliche Jangle-Pop-Einfluss und die verschlungenen Licks von "Breaking even" umspielen geschickt Bachmanns hilflose Verwirrung. "The moment you end" fängt äußerst präzise das seltsame Gefühl einer Wiederbegegnung ein, die erst recht die Distanz zur eigenen Vergangenheit bewusst werden lässt. Á propos: Auch Archers Of Loaf ringen auf "Reason to decline" mit dem Erbe, stehen in einem seltsamen Verhältnis zu ihren ersten Jahren. Einerseits aufgeräumter und massentauglicher, andererseits verstrickt in Widersprüche, die damals einfacher aufzulösen schienen, zeichnet ihr Comeback ein zerrissenes Bild. Schön aber, wenn auch ohne College-Radio von dieser Band wieder öfter die Rede ist.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Saturation and light
- Breaking even
- The moment you end
Tracklist
- Human
- Saturation and light
- Screaming undercover
- Mama was a war profiteer
- Aimee
- In the surface noise
- Breaking even
- Misinformation age
- The moment you end
- War is wide open
Im Forum kommentieren
wilson
2022-11-02 21:39:20
@viktor fritzenkötter (verfasser der rezension): nicht nur die ersten zwei alben waren stark, sondern die ersten vier.....
https://www.youtube.com/watch?v=y8DXCiqj6Zk
Armin
2022-11-02 21:19:39- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
fakeboy
2022-10-21 17:35:34
Heute erschienen, das erste Album seit 1998. Erster Durchgang. "Human" beginnt überraschend bombastisch, ein wenig Springsteen-Touch. Sound einiges aufgeräumter und weniger schräg als auf den Frühwerken. Bin gespannt auf den Rest.
Armin
2022-07-13 19:17:27- Newsbeitrag
ARCHERS OF LOAF
kündigen erstes neues Album nach 24 Jahren an |
„Reason In Decline“ erscheint am 21. Oktober via Merge |
teilen Video zur ersten Single „In The Surface Noise“ |
ARCHERS OF LOAF haben für den 21. Oktober mit „Reason In Decline“ die Veröffentlichung ihres ersten neuen Studio-Albums seit 24 Jahren über Merge angekündigt. Heute teilen sie das Video zur ersten Single, das stürmische, spannungsgeladene „In The Surface Noise“.
AOL-Sänger und Gitarrist Eric Bachman schreibt dazu: „We didn’t intend for this song to be political and it was written through a personal lens but as sometimes happens the lyrics (‘what’s more for them ain’t less for you’) ended up being more universal.”
ARCHERS OF LOAF sind Eric Bachman (Sänger/Gitarrist), Eric Johnson (Gitarrist), Matt Gentling (Bass) und Mark Price (Drums).
Nachdem einige Reunion-Shows im Jahr 2015 die kreative Leidenschaft der Band wieder entfacht hatten, versuchte Bachman, neues ARCHERS-Material zu schreiben, aber er konnte es einfach nicht tun. Für ihn waren die Stimme und die Identität der Band in der Vergangenheit gefangen. „For ARCHERS lyrics, songs, everything, I had to imagine I was this angry white curmudgeon college guy who hates capitalism and consumerism and has a broken heart,” sagt er. „He’s bitter about relationships, so he makes fun of things to seem cool. As I’ve aged, I’m far less like that anymore, but it is a part of my personality. I just wasn’t excited about re-energizing it. I used that guy as a starting point to get myself out of the gate, but in the course of writing the actual songs, he eventually went away.”
Unfähig, aufzutreten, zu touren oder Geld zu verdienen, war Bachman zum Vollzeit-Elternteil eines kleinen Sohnes geworden, während seine Frau als Krankenschwester auf der Intensivstation schuftete. Die Veränderung war tiefgreifend. „I’m 51, I’ve been [writing and playing music] since I was 14. I’ve been doing it for a living since I was 22, that’s 37 years. For the first time, when COVID happened, I couldn’t do it. It was a massive psychological setback, to the point that I had to get help. I already had a problem with suicide ideation, constantly thinking about this shit. And I’m not ashamed to say that. Thousands and thousands of people have the same problem. Anyway, all this got baked into the songs.”
Das Endergebnis, „Reason In Decline“, ist kein nostalgischer, unauffälliger Neustart. Als sie aus North Carolinas Indie-Punk-Brutkasten der 90er Jahre hervorgingen, war das rasende, schlaue, herrlich dissonante Gebrüll der ARCHERS OF LOAF ein mythologisierter Prüfstein für die Verweigerung der Slacker-Ära. Aber dieses neue Album ist ein ganz anderes Geräusch. In der Tat ist sie eine verblüffende Offenbarung. Die Gitarristen Eric Bachman und Eric Johnson, einst eigenwillige Klugscheißer, die auf den vier Studio-Alben und der EP der Band eine Reihe kunstvoller Karambolagen verursachten, sind jetzt eine sich fließend ergänzende, klanglich fortschrittliche Einheit.
Vor allem Johnsons charakteristische Höhenlinien heben sich deutlich vom Lärm ab, anstatt darum zu kämpfen, gehört zu werden. Die Texte des Sängers und Songwriters Bachman halten heute die Balance zwischen selbstgerechtem Zorn und einem komplexen Geflecht aus erwachsenen Perspektiven. Er spuckt immer noch Gift und Galle, aber es geht seltener um Szenepolitik, Musiktrends oder zwielichtige Plattenfirmen, die die Träume einer jungen Rock-Band durchkreuzen. Bachman drückt es unverblümt aus: „What I really think about going back to the ARCHERS and doing a new record is that the three other members of this band are awesome. It’s not about responding to the past or whatever our bullshit legacy is. I just wanted to work with these guys because I knew the chemistry we had and that we still have. I knew that was rare.”
Track listing
Human
Saturation And Light
Screaming Undercover
Mama Was A War Profiteer
Aimee
In The Surface Noise
Breaking Even
Misinformation Age
The Moment You End
War Is Wide Open
fakeboy
2022-07-13 16:08:47
Neues Album "Reason in Decline" im Oktober auf Merge Records!
Neue Single "In The Surface Noise"
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Referenzen
Spotify
Threads im Forum
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