
Dead Cross - II
Ipecac / Pias / Rough TradeVÖ: 28.10.2022
Riffs gegen den Tod
Es mag ein wenig pathetisch klingen, aber trifft doch den Kern der Sache: Einem kleinen Wunder kommt der Umstand gleich, dass dieses Album überhaupt existiert. Die US-amerikanische Band Dead Cross blickte im Entstehungsprozess des Nachfolgers zum selbstbetitelten Debüt nicht einfach nur großen Problemen ins Auge, sondern zwischenzeitlich gar dem Tod. Da waren einerseits die psychischen Probleme von Sänger Mike Patton, der daraufhin auch die Auftritte mit Faith No More absagen musste. Dann gab und gibt es ja noch dieses Biest Corona, das auch Dead Cross limitierte. Negative Krönung der Unbilden: Gitarrist Michael Crain erhielt eine Krebsdiagnose und musste sich einer Chemotherapie unterziehen. Trotz allem liegt nun das schlicht "II" betitelte zweite Album dieser, man muss sie wohl so nennen, Supergroup vor. Gevatter Tod mag nachdrücklich in ihre Richtung gewunken haben, die Band aber ist quicklebendig. Und, was in diesem Zusammenhang noch viel wichtiger ist: Crain gilt als genesen.
Der Zweitling zeigt die vier beteiligten Musiker in glänzender Verfassung. Sänger Patton, kreativer Geist im Zentrum des Ganzen, ist dabei das Bindeglied zwischen Ex-Slayer-Drummer Dave Lombardo, Gitarrist Crain, der sonst für Retox in die Saiten greift, und Bassist Justin Pearson, der den Viersaiter ebenfalls bei Retox bedient und auch für The Locust aktiv war. Patton ruft gleich zum Auftakt in "Love without love" viele Facetten seines Könnens ab und lässt die Zuhörerschaft gewohnt irritiert zurück: "I love you so much that I could shit / Hotter than a branding iron, colder than a witches tit / Like Billy Joel, I'll be moving out!" Vielleicht verstehen wir es nicht, aber wir fühlen es. Dead Cross bestechen bei ihrer wilden Mischung, die irgendwo zwischen Punk, Thrash und Rock zu verorten ist, übrigens durch viele kleine Ideen, die in Stücken wie "Animal espionage" zuweilen erst beim wiederholten Durchlauf aufzuspüren sind.
Im Grundton ist dem Quartett zu jedem Zeitpunkt eine fast diebische Freude anzuhören. Freude darüber, hier einfach exakt das ausleben zu können, worauf sie gerade Lust haben. Und das ist ungebremste Spielfreude, der Spaß am furiosen Durcheinander wie im lange Zeit ganz straighten "Heart reformer" oder im energisch vorgetragenen "Strong and wrong". Und immer wieder sind da die kleinen textlichen Fundstücke, die aufzuspüren Spaß machen kann. Eine Verneigung vor einer musikalischen Größe findet sich in "Ants and dragons", wenn Patton singt: "One, two, SNFU Chi Pig / It doesn't matter how you sing / It doesn't matter how hard you scream Mr. Chi Pig." Grüße gehen raus in den Musikerhimmel, in dem sich Kendall Steven Chinn alias Mr. Chi Pig, Sänger der formidablen Band SNFU, befindet.
Mike Patton, dessen Vorgänger am Dead-Cross-Mikrophon, Gabe Serbian, in diesem Jahr verstarb, unterstreicht auf diesem Album einmal mehr sein absolutes Ausnahmekönnen. "Nightclub canary" ist so ein Beispiel für das, was ihn ausmacht. Grenzen der Stimmakrobatik? Lächerlich. Dead Cross leben von der individuellen Klasse aller Beteiligten und vermengen das zu einem großen Ganzen, das nicht einfach nur als temporäre Supergroup verstanden, sondern sehr gerne als festes Bandgefüge mit möglichst langer Zukunft versehen werden darf. Dass das Ganze nur etwas mehr als eine halbe Stunde bei neun Songs dauert: geschenkt. Hier passiert und passt ganz viel.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Love without love
- Ants and dragons
- Imposter syndrome
Tracklist
- Love without love
- Animal espionage
- Heart reformer
- Strong and wrong
- Ants and dragons
- Nightclub canary
- Christian missile crisis
- Reign of error
- Imposter syndrome
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fuzzmyass
2022-10-29 12:22:20
Album knallt... geiles Ding...
wilson
2022-10-29 12:21:28
...und eine aus dem justin pearson-kosmos (struggle, swing kids, the locust, some girls, retox, ...)
fakeboy
2022-10-28 07:48:55
Ich würd übrigens Dead Cross nicht einfach als Band aus dem "Patton-Kosmos" bezeichnen, sie ist genauso eine aus dem Dave Lombardo-Kosmos.
Speedy
2022-10-28 06:24:08
@fakeboy
Das "Ichmachmusikalischwasichwill" - Genre.... :-)
fuzzmyass
2022-10-27 21:18:29
Eigentlich ist er in allen Genres der Größte :D
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