Lyschko - Brennen
My Favourite Chords / Broken SilenceVÖ: 28.10.2022
Wunderkerzen im Nebel
Neue Neue Deutsche Welle: Klappe, die nächste! Tatsächlich? Na ja, Lyschko aus NRW teilen sich ihren Gitarristen Lukas Korn schließlich mit Drangsal, und Mia Morgan geistert durch ihre Videos und Live-Auftritte. Die Vermutung liegt also nahe: irgendwas mit Achtzigern eben, kredenzt von Musiker*innen, die jene definitiv nicht miterlebt haben. Stimmt alles, und doch liegt es nicht unbedingt auf der Hand. Denn zwar haben Lyschko in Sachen Ästhetik und gesanglichem Vortrag von Lina Holzrichter – die sich mit Sofia Portanet um die einzig legitime Nachfolge Nina Hagens zankt – tatsächlich eine gehörige Portion verschrobenen Glitzer getankt. Diesen überführen sie aber nonchalant ins Hier und Jetzt. Der Opener "Glasperlenmädchen" steckt dabei sogar noch tiefer im Früher als die meisten anderen Songs: eine kleine Blendgranate. Denn die folgenden Kompositionen auf dem Debütalbum "Brennen" passen trotz ihrer New-Wave-Attitüde gut in die noch immer ausklingenden Zweitausendzehner und zu deren Kindern, stehen im Morgengrauen mit zerrissenem Outfit vorm Späti und riechen nach Kippen und Alk.
Musikalisch mag das manchmal noch handelsüblicher Indie-Rock sein mit hell verzerrten Gitarren und ordentlich Druck auf dem Kessel – hier kommen einem tatsächlich lärmigere Captain Planet oder wegen des The-Smiths-Einschlags natürlich Love A in den Sinn –, zeichnet sich aber durch seine immer intensiv-morbide Atmosphäre und den deutlichen Goth-Touch aus. "Fremd" mit stimmlicher Unterstützung von Max Gruber himself mausert sich zum Instant-Hit, während das Riff von "Ohnmacht" wie etwas klingt, das Suede in ihrer aktuellen Sturm-und-Drang-Phase machen würden, Orgel und Spannungsbogen inklusive. Spoiler: Der Song kippt eine Minute vor Schluss in punkiges Gestampfe und Geschrei ab – Vorhersehbarkeit geht anders. Lyschko haben von so einigem die Schnauze voll und nehmen nur selten die Füße vom Gas. Holzrichters Texte gehen dabei unter die Haut, thematisieren Verwirrung, Isolation, Rausch und Weiblichkeit und bleiben trotz ihrer Theatralik stets geerdet und eigenständig. Oder in ihren eigenen Worten: "Ich will nie wieder einen Körper haben / Nie wieder in der Menge stehen / Nie wieder meine Angst beklagen / Nie wieder diese Bilder sehen."
"Fünf vor zehn / Schon viermal erschossen": Der Ohrwurm "Morgen" kombiniert fiesen Text mit flottem Rock, das anschließende "Hysterie + Abfall" post-punkt morgens um drei durch den Club und beweist, dass auch gern getanzt werden darf, sobald es spät genug geworden ist. Im aufgeputschten "Fassade" ziert die Band sich nicht einmal, nach sieben Kaffee die große Simone de Beauvoir zu zitieren ("On ne naît pas femme / On le devient"). "Fenstersims" hat gegen Ende dann genug vom Glam und wirkt wie krachender Untergrund-Punk kurz vor der Wende, bevor der "Nachtzug" und der schlaftrunkene Titeltrack in den letzten Minuten der Nacht verglühen. Als der Rauch sich langsam lichtet, hat man schlussendlich begriffen: Nähme man Mia Morgan ihre Zuckerwatte weg und drückte ihr stattdessen gepanschten Hochprozentigen in die Hand – voilà, Lyschko. Das Trio klingt frisch und unverbraucht, weil es seine altbackenen Referenzen geschickt einflechtet und in eine zeitlose Indie-Horrorshow verwandelt, die in kleine vernebelte Keller voller gleichgesinnter Verlorener gehört. "Brennen" ist ein beachtliches Debüt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Fremd
- Ohnmacht
- Morgen
- Fassade
Tracklist
- Glasperlenmädchen
- Fremd
- Zurück (zu Dir)
- Abend
- Ohnmacht
- Zum Verlieben da
- Morgen
- Hysterie + Abfall
- Lass mich
- Fassade
- Fenstersims
- Nachtzug
- Brennen
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Sloppy-Ray Hasselhoff
2022-10-21 20:40:17
sehr feines teil. klingt angestaubt frisch. zwischen post-punk-keller und limone. danke für die rezi. wär mir durch die lappen gegangen. es gibt auch in deutschland wiener nächte.
Armin
2022-10-19 21:19:03- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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