Ezra Furman - All of us flames

Bella Union / PIAS / Rough Trade
VÖ: 26.08.2022
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Das Wir gewinnt

In einem der schönsten Momente der herrlich unverkrampften Coming-of-Age-Netflix-Serie "Sex education" bekennt sich in einem Akt der Solidarität eine halbe Schul-Aula in Spartakus-Manier dazu, dass es die eigene Vagina sei, die auf einem an der Schule zirkulierenden Foto zu sehen ist. Die Szene wird untermalt und zusätzlich veredelt von der wunderbaren Selbstermächtigungshymne "Body was made" aus Ezra Furmans Platte "Perpetual motion people". Deren Nachfolger, das roadmovieske Konzeptalbum "Transangelic exodus" mit seiner Liebesgeschichte zwischen einem Menschen und einem Engel wirkte konzeptbedingt noch etwas distanziert, "Twelve nudes" war dann zuletzt ein überraschend punkiges, voll auf die zwölf zielendes Ventil für Furmans Wut, Frustration und Desorientierung, sowohl im Bezug auf die große Politik in Trumps Amerika, als auch, was die eigene Identität angeht. "All of us flames", ihr wohl bestes Werk bisher, wirkt nun so, als sei Ezra Furman, die sich im Vorjahr als bisexuelle trans Frau geoutet hat, auf gewisse Art und Weise angekommen.

Ein wichtiges Motiv dieser neuen Songs ist die erweiterte Perspektive vom singulären Ich zu einem Verständnis der zentralen Wichtigkeit von Vernetzung und Gemeinschaft, gerade in marginalisierten Gruppen. Bereits der sich konstant in der Intensität steigernde Blues-Gospel-Opener "Train comes through", den man sich auch wunderbar in einer American-Recordings-Coverversion von Zugsongliebhaber Johnny Cash vorstellen könnte, beschreibt die gesellschaftliche Veränderung, die von einer Gruppe von Außenseitern ("a broken heart's your ticket") angestoßen werden kann. "Dressed in black" ist eine bittersüße 60s-Girlgroup-Hommage an den gleichnamigen Song von The Shangri-Las und beschreibt zwei Liebende, die so lange trauerndes Schwarz tragen, bis sie der sie ablehnenden Gesellschaft entfliehen können. Der hier noch erträumte Abschied wird im fantastisch hymnischen Highway-Rocksong "Forever in sunset" vollzogen, der Sehnsucht, Leidenschaft und Energie so mitreißend kombiniert, dass der frühe Springsteen von der Rückbank anerkennend nickt und die gewisse dystopische Doppelbödigkeit des Settings in den Lyrics erst auf den zweiten Blick offenbar wird. Jedoch geht es Furman mitnichten um bloßen Eskapismus. Sie gibt sich explizit kämpferisch, träumt im mitreißenden "Lilac and black" von einer "queer girl gang", die sich gegen eine oppressive Mehrheitsgesellschaft auflehnt und postuliert in "Book of our names" die Wichtigkeit des gewählten Namens für die trans Identität: "And the names will be the real ones that are ours / Not the ones given us by the enemy powers / But the ones that we know in our bones and our bowels / And they'll be said out loud and repeated."

Angesichts der Konzentration von inhaltlich programmatischen und musikalisch hymnisch-eingängigen Tracks in der ersten Hälfte des Albums scheinen die eher introspektiven Songs gegen Ende zunächst etwas abzufallen, tatsächlich offenbart sich die vor allem lyrische Schönheit von Preziosen wie "Ally Sheedy in The Breakfast Club" oder "Temple of broken dreams", das an den Bob Dylan von "Blonde on blonde" erinnert, teilweise erst beim erneuten Hören. Der spartanische und überaus berührende Schlusssong "Come close" erinnert an die Außenseiter innerhalb der Community, die nicht das Privileg haben, eine Pride Parade zu begehen: "What do your rainbows do here on the ground?" Furman ist ein furioses Album gelungen, auf dem sie als Rädelsführerin, Prophetin und Schulter zum Anlehnen zugleich eine Gemeinschaft und Solidarisierung der Ausgestoßenen beschwört. It's my vagina!

(Michael Albl)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Forever in sunset
  • Book of our names
  • Point me to the real
  • Come close

Tracklist

  1. Train comes through
  2. Throne
  3. Dressed in black
  4. Forever in sunset
  5. Book of our names
  6. Point me toward the real
  7. Lilac and black
  8. Ally Sheedy in The Breakfast Club
  9. Poor girl a long way from heaven
  10. Temple of broken dreams
  11. I Saw the truth undressing
  12. Come close
Gesamtspielzeit: 47:30 min

Im Forum kommentieren

Ralph mit F

2022-09-07 19:08:44

Singt die nicht auch bei Vampire Weekend?

cargo

2022-09-07 13:05:44

Mir ist gerade aufgefallen, dass Ezra Furman und George Ezra in meinem Kopf die ganze Zeit die gleiche Person waren :D
Aber umso besser, dass ich jetzt die Songwriterin ganz neu entdecken kann.

Gordon Fraser

2022-09-07 10:38:41

Ja, gutes Album wieder.

Hier stand Ihre Werbung

2022-09-07 10:29:37

In der zweiten Hälfte hab ich so ein bisschen den Faden verloren... Mal direkt dort anmachen.

MM13

2022-09-06 18:27:16

die 8/10 ist mehr als verdient, diesmal hat sie wirklich ein meisterwerk hingelegt,wobei ich sagen muss bei den vorgängern war auch nie was schlechtes dabei.

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