Built To Spill - When the wind forgets your name
Sub Pop / CargoVÖ: 09.09.2022
Vorübergehend angekommen
Völlig aufgedreht fühle er sich, gab Doug Martsch kürzlich zu Protokoll, seit Sub Pop ihn unter die Fittiche genommen habe, das ikonische Label seiner Jugend. Schließlich sei er inzwischen schon über 50. Eine Bemerkung, die viel aussagt über das Selbstverständnis einer Band, die sich inzwischen ja längst selbst einen festen Platz im Pantheon des Indie-Rock verdient hat. Die mäandernden Songstrukturen, die vielschichtige Gitarrenarchitektur, Martschs klischeefreie psychologische Reflektionen: All das macht Built To Spill seit beinahe 30 Jahren zu einer Band, die vermutlich die gesamte so lebhafte Musikszene des Pacific Northwest maßgeblich geprägt hat – und der doch nie das grelle Rampenlicht geheuer schien. Zu viele Abzweigungen und Umwege lauerten dazu in ihren Kompositionen, zu misstrauisch gegenüber falschen Eindeutigkeiten klangen Martschs Texte. Zuletzt ist er mehr und mehr zum einzigen festen Bestandteil der Band geworden, der mit wechselnden Mitstreitern seine Ideen realisiert. "When the wind forgets your name" entstand, als Martsch den brasilianischen Lo-Fi-Punker Lê Almeida und dessen langjährigen Weggefährten João Casaes entdeckte, als beide für ihr Jazz-Rock-Projekt Oruã auf der Bühne standen. Was zunächst im Zusammenhang mit Built To Spill als überraschender Einfluss anmuten mag, entpuppt sich bald als Entschlackungskur für den Sound der Band: mehr Garage als Jam, mitunter reduzierter als in den Tagen früherer Gitarrenopulenz – und doch bleibt das erste Album seit sieben Jahren auf seine Art den Nuancen und Feinheiten der Vorgänger treu.
Mit drei kürzeren Tracks und einem schrammelig-verspielten Riff beginnt "When the wind forgets your name" seine Reise, die weniger sentimental daherkommt als sein Titel und weniger quietschig als sein charmant durchgeknalltes Cover. Gewissheiten lösen sich im etwas unscheinbaren Opener "Gonna lose" zunächst nur textlich auf: "Answers materialize, then they're gone." Doch schon kurz darauf legen Built To Spill nach Jahren der Stille ein echtes Highlight vor: "Fool's gold" beschenkt mit seinem akutisch grundierten, von Streichern und einem Glockenspiel angestupsten Harmoniereichtum. Schicht um Schicht türmen sich die Gitarren auf, bis jener Eindruck nervöser Melancholie einsetzt, der einst auch schon Großtaten wie "Car" durchzog. Das zunächst treibende "Understood" lässt allerhand Synkopen und verschlungene Riffs betonen, dass Sinnieren hier doch über Zappeln geht, während Martsch seine Aporien ineinanderfaltet: "And part of the problem is: you're such a part of it." Und auch die vierte (!) Vorabsingle "Spiderweb" trägt Elemente einer nachdenklichen, bittersüßen Indie-Hymne in sich, bevor in ihrem famosen Gitarrensolo alles aufflackert und jault, was abseitiger College-Rock in den Neunzigern richtig gemacht hat.
"Never alright" und "Alright" entpuppen sich den Namen gemäß als ein Tandem voller Metamorphosen, das in bester "Perfect from now on"-Tradition ein ganzes Füllhorn an Ideen abfeuert. Mal dirigiert eine unerwartete Akkordfolge die Band von schmetternden Riffs in ein groovendes Zwischenkapitel, mal beginnt ein Stück als Ballade mit Pauken und benötigt dann ein wenig Zeit, seine verschachtelte Dramaturgie umzusetzen. Wer nun glaubt, Built To Spill verwalteten ihr Erbe bloß – wenn auch auf hohem Niveau – übersieht die gezielten Verrückungen auf "When the wind forgets your name". "Elements", das die ausufernden, atmosphärischen Songs des Albums zugleich einleitet und zuspitzt, zelebriert eine wunderbar zarte Psychedelik: Martschs sphärisches Falsett löst sich während eines mehrminütigen Instrumentalteils in den Äther auf, schwebt auf Wolken aus warmen Gitarrentönen und Orgeln davon. Dann reißt ein klarer Schlagzeugbeat mit drolliger Basslinie aus den Träumen, "Rocksteady" thematisiert die triste Komik alltäglicher Monotonie. "I dont wanna be constantly taking these long, hard looks at myself", gibt Martsch umständlich zu Protokoll, während sich tatsächlich Reggae- und Dub-Rhythmen durch die Straßen schleppen.
Am Ende pointiert "Comes a day" wohl am besten, wie sich Built To Spill anno 2022 anhören. Seine achteinhalb Minuten setzen zunächst die Band-Tradition epischer Closer fort, manövrieren souverän durch verschiedene Phasen ihrer Geschichte. Im Laufe der Zeit vernebeln ein imposanter Flanger-Effekt, Sprachfetzen und unbehagliche Soundmanipulationen den wilden Ritt, sprudeln ihm wirr entgegen. Wir fühlen uns wohl, wo wir sind, scheinen Martsch und seine Kollegen zu erkennen, doch der skeptische Entdeckergeist grätscht dazwischen. Ein neues Label als Erfüllung eines alten Wunschs – vieles fügt sich zurzeit bei Built To Spill. Auch die Gewissheit: Ein schlechtes Album wird diese Band nicht mehr machen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Fool's gold
- Elements
- Comes a day
Tracklist
- Gonna lose
- Fool's gold
- Understood
- Elements
- Rocksteady
- Spiderweb
- Never alright
- Alright
- Comes a day
Im Forum kommentieren
fakeboy
2022-09-14 21:45:42
Mir gefällt die sehr lockere, entspannte Stimmung des Albums. Vermisse zwar weiterhin die zweiten und dritten Gitarren, aber dieses Defizit rückt allmählich in den Hintergrund.
Eliminator Jr.
2022-09-13 22:47:44
Die erste Hälfte erscheint mir noch etwas holprig, aber die letzten vier Songs gehören zu den besten Sachen, die diese an Meisterwerken nicht gerade arme Gruppe je gemacht hat. Schon irre..
captain kidd
2022-09-11 14:26:28
Macht echt Laune irgendwie...
Telecaster
2022-09-10 23:01:59
@smrr
Wo sind Ultimate Alternative Wavers und Plays The Songs Of Daniel Johnson in deiner Liste?
Telecaster
2022-09-10 19:51:53
Gefällt mir bisher schon noch etwas besser als Untethered Moon und vor allem als das Coveralbum mit den Daniel-Johnston-Songs. Vor allem "Elements" - wow! Lebt natürlich viel vom Sound. Produktionstechnisch eine ihrer besten, die Songs müssen sich bei mir noch entfalten.
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