Ben Harper - Bloodline maintenance

Chrysalis / PIAS / Rough Trade
VÖ: 22.07.2022
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

What's going on, Ben?

Der musikalische Tausendsassa Ben Harper hat sich in den letzten dreißig Jahren auf insgesamt fünfzehn Alben eklektizistisch durch die Genres gespielt und dabei im Spannungsfeld von Folk, Soul, Blues, Reggae und Rock weder politischen Aktivismus ausgelassen, noch vor Tralala-Belanglosigkeiten à la Jack Johnson zurückgeschreckt. Nachdem sein letztes Instrumentalwerk "Winter is for lovers" sehr reduziert ausschließlich Harpers Virtuosität an der Lap-Steel-Gitarre ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt hatte, ist diese neue Platte lyrisch womöglich das stärkste Album des Kaliforniers überhaupt. Zwischen Groove und Engagement scheint Harper hier den Geist Marvin Gayes heraufzubeschwören, dessen Überklassiker "What's going on" soziale Spannungen wie Kriegsangst und Rassismus, aber auch erstmals ökologische Sorgen thematisierte. All diese Bereiche werden auch auf "Bloodline maintenance" verhandelt, und so lässt sich der Titelbezug auf Abstammung und Herkunft über die familiäre Ebene hinaus (das Albumcover zeigt den kleinen Ben mit seinem Vater) auch auf das schwarze musikalische Erbe an sich ausweiten.

Der eindringliche, nicht einmal zwei Minuten lange Eröffnungstrack "Beyond sea level" kommt gänzlich ohne instrumentale Begleitung aus und diskutiert im klagenden, zweistimmigen Harmoniegesang die immanente Klimakatastrophe, ohne lyrisch je zu platt zu werden. Ein atemberaubendes Highlight ist die wütende Vorabsingle "We need to talk about it", die an Curtis Mayfield ebenso erinnert wie an den frühen Stevie Wonder und die über einem slicken Gospel-Funk-Soundgerüst in scharfen Worten eine ehrliche Aufarbeitung der Sklaverei einfordert: "Whoever said time heals all wounds / Wasn't a slave I'm guessing." Der jazzige, rhythmisch spannende Blues von "Problem child" thematisiert soziale Ungerechtigkeit mit lakonischen Zeilen wie "My glass is half empty / You hand me a smaller cup" und verortet diese Problematik mit Turntable-Scratches im Outro geschickt im Hier und Jetzt.

Trotz der Häufung von Protestsongs beschäftigt sich eine Vielzahl der Tracks auch mit Liebe und Beziehungen, und dies nicht immer unbedingt im romantischen Sinne, war doch der Tod von Harpers engem Freund und Bassisten Juan Nelson eine der Inspirationen im Kompositionsprozess. Das groovende "Need to know basis" mit cooler Clavinet-Line und einem staubtrockenen Gitarrensolo sowie die herzallerliebste Liebeserklärung "More than love" im Stile von Sam Cooke lassen das Tanzbein ebenso zucken wie der fatalistische Bluesrocker "Knew the day was comin'". Die politische und die persönliche Ebene vereint die mit satten Bläsern angereicherte Lap-Steel-Soul-Nummer "Smile at the mention" mit der Idee, dass der Gedanke an eine geliebte Person auch in einer ansonsten ausweglosen Lage noch Hoffnung birgt. Der bassdominierte, jazzige Schlusstrack "Maybe I can't" über den Reiz der Resignation wiederum bildet zusammen mit "Below sea level" die düstere Klammer um ein kraftvolles Soul-Album voller Retro-Momente, das trotzdem nie museal wirkt, sondern ganz im Gegenteil eine Art Bestandsaufnahme der so gespaltenen Staaten von Amerika darstellt: What's going on?

(Michael Albl)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Below sea level
  • We need to talk about it
  • Need to know basis
  • Maybe I can't

Tracklist

  1. Below sea level
  2. We need to talk about it
  3. Where did we go wrong
  4. Problem child
  5. Need to know basis
  6. It ain't no use
  7. More than love
  8. Smile at the mention
  9. Honey, honey
  10. Knew the day was comin'
  11. Maybe I can't
Gesamtspielzeit: 32:06 min

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Armin

2022-08-19 21:51:02- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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