Hot Chip - Freakout/Release

Domino / GoodToGo
VÖ: 19.08.2022

Achte Hilfe

Die Fürsorge steht im Vordergrund. Hot Chip waren ja schon immer emotional investiert hinter ihrem schillernden Elektropop. So viel Nächstenhilfe wie auf ihrem achten Album "Freakout/Release" gab es jedoch bislang noch nicht. "They say time will heal you / Do they know what you've been through?", fragen sie und schieben nach: "You can heal if you're wounded." "Broken" schwenkt im Dialog zwischen zerfressenden Selbstzweifeln und der Unfähigkeit, von außen dagegenzusteuern. Erst heißt es "Am I still broken? / You know that I'm hoping", später "If I can find language to help you / Then maybe I can still support you." Irgendwas muss den Briten in letzter Zeit gehäuft quergekommen sein, dass sie so viel prüfende Augen auf ihre Mitmenschen legen. Dabei sagen der Albumtitel sowie die ersten Singles doch eigentlich was anderes. Der Retrofunk von "Down", ein Hot-Chip-Hit wie er im Buche steht, dem das wundervoll sehnsüchtige "Eleanor" folgt. Und beim knurrigen Robot-Rock des Titeltracks haben Soulwax sogar hörbar ihre Finger im Spiel gehabt.

Natürlich ist das gleichermaßen sattsam bekannt wie umwerfend, wenn Alexis Taylor in "Eleanor" schmachtet: "When you're standing there / Can you really just ignore the call of memory?" Joe Goddard gibt auf "Freakout/Release" noch öfter den geerdeten, schüchternen vokalen Counterpart, beide ergänzen sich besonders in der funkelnden Ballade "Not alone" gegenseitig. Der Vorgänger "A bath full of ecstasy" deckte mit seiner melodischen Sweetness vor allem eine Facette ab, "Freakout/Release" dehnt sich wieder mehr über die ganze Spielfläche aus. Von "Wild beast, freakout, release" zu "When I'm swimming out of my depth / I can barely see the crest of a wave about to destroy me" ist es auch stimmungsmäßig ein weites Stück. Was die Platte aber zusammenhält, ist die Qualität der Songs. Es mögen sich in der Mitte etwas viele langsame Momente ansammeln, der Tempowechsel in "Hard to be funky" nicht den erhofften Umschwung bringen. Aber an den Rändern haben Hot Chip ihren Kram mehr als nur beisammen.

Spätestens wenn "The evil that men do" das große Drama auspackt, den Slowburner nach mehr als drei Minuten in den Verzerrer kippt und der kanadische Rapper Cadence Weapon auftaucht, ist das Wort "Karrierehighlight" nicht mehr fern. Selbiges gilt auch für das fantastische "Guilty", mit seinem Hitpotenzial ein sicherer Kandidat für künftige Best-Of-Playlists. "Guilty" allein wäre bereits ein großartiger Closer, aber Hot Chip nehmen kurz vor Ende doch noch eine unerwartete Wendung. "Out of my depth" bleibt lange ohne Percussion, ermahnt sich: "When I'm in my darkest place / I must be careful not to dwell there." Das mächtige Finale kommt schließlich unerwartet. "Freakout/Release" schwankt kostant zwischen introspektiven Momenten, großen Explosionen und kleinen Insider-Gags wie dem abrupten Ende des stur tanzbaren "Time".

Wirkten die letzten Platten zunehmend beladener und schwerer, die Songs länger und expansiver, haben Hot Chip hier wieder einen leichteren Zugang zum Songwriting gefunden. Das ergibt nicht immer ein kohärentes Bild, "In our heads" ist jedoch beispielsweise nicht ihr deshalb bestes Album, weil es ein großes Ziel verfolgt, sondern weil es schlichtweg die besten Songs beinhaltet. "Freakout/Release" kann daher auch ein wenig als Resetknopf für kommende Abenteuer gesehen werden. Dass im seligen "Miss the bliss" die Frage "Would you tell me what I need to be for you?" auftaucht, ist demnach kein Zufall. Hot Chip helfen aus – auch wenn es um die Suche nach der besten Facette ihrer selbst geht.

(Felix Heinecker)

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Hot Chip - A bath full of ecstasy (2019)

Hot Chip - Why make sense? (2015)

Hot Chip - In our heads (2012)

Hot Chip - One life stand (2010)

Hot Chip - Made in the dark (2008)

Hot Chip - The warning (2006)