Funny Van Dannen - Kolossale Gegenwart
Trikont / IndigoVÖ: 29.07.2022
Explosionen im Tierreich
Wenn Wolfgang Niedecken der kölsche Dylan ist, was ist dann Funny Van Dannen? Und warum stellt sich die Frage überhaupt? Vielleicht, weil der Wahlberliner auf "Kolossale Gegenwart" zumindest eingangs überdurchschnittlich oft die Mundharmonika rausholt, die auch der große Bob zu Anfang seiner Karriere gerne bemühte. Also nicht genau dieselbe. Ihr wisst schon. Denn an dem Mann, den man bedenkenlos mit dem ansonsten längst in der Mottenkiste hausenden Begriff Liedermacher belegen darf, scheint ein Revoluzzer verlorengegangen zu sein. Oder ein halber. Mit 64 kommt man zwar endlich mal zu so etwas, ist aber leider auch nicht mehr der Jüngste. Folglich lädt Van Dannen zu Beginn von "Kolossale Gegenwart" eher verhalten ein: "Wenn Sie mitmachen wollen, reicht eine Mail: 'Bin an Umsturz interessiert.'" Spontaneität ja – aber bitte zur rechten Zeit.
Mit plötzlichen Explosionen ist also auch auf Album Nummer 14 nicht zu rechnen. Jedoch mit vielen Songs, pardon Liedern, die friedliebenden Menschen mit unreinem Gewissen gefallen dürften. Sowie allen, die bei ohrwurmigem Singalong zur – auch dieses Wort ist hier erlaubt – Klampfe gerne "Minderwertige Gedanken und Gefühle" hegen. Auch "Lauterbach" darf nicht fehlen, obwohl unklar bleibt, in welcher Funktion der Gesundheitsminister doppelt und dreifach durch einen wirren Albtraum voller Schurkenstaatsleute geistert. Trotzdem ein wunderbar schräger Corona-Kommentar abseits von Zeigefinger und #allesdichtmachen, ehe es privater wird und "Fuck you" dem vergebens behüteten Nachwuchs den Stinkefinger zeigt. Wenn so etwas dabei herauskommt, wenn man die Kinder Bier holen schickt, dann ab in den Keller. Und schon wieder da sein.
Wären da nicht die Probleme mit Tieren. "Die Kritiker der Fische haben sicher Recht / Die Glupschaugen sind eklig und die Gräten sieht man schlecht", sang Van Dannen bereits 1996, kochte 16 Jahre später "Fischsuppe" – und aus seiner Abneigung gegen Federvieh macht er keinen Hehl. Im hämisch geknödelten "Jägerinnenlied" platzt aber auch ihm der Kragen: "Es ist die unverfälschte menschliche Natur / Was uns derart fasziniert, ist die Lust am Töten pur." Dass die Jagd eine Nebenform von Geisteskrankheit ist, wusste schließlich schon nicht etwa Karl Lauterbach, sondern Alt-Bundespräsident Theodor Heuss. Sogar der Arsch, der als Kind eine Katze geköpft hat, will hier Kanzler werden – und sollte jemand den Sänger fragen, ob es sich um eine Satire auf Medien handeln könnte, die im Privatleben von Politikern nach Schmutz wühlen, wird er nur wissend lächeln.
Allesamt Gründe, aus denen dieser über eineinhalb Ohren schief grinsenden Musik ihre charmante Limitiertheit verziehen sei. Zumal Van Dannen in zwei sinnfreien Einminütern seinen inneren Punk wiederbelebt und die sich zart anbahnende Liebesgeschichte "Lachsfarbene Unterwäsche" ungebremst gegen die Wand fährt. Nur von "Der Ziegenficker" hätte sich wohl auch Jan Böhmermann eine fundiertere Analyse als ein bemühtes Wortspiel zum Nachnamen Schweinsteiger gewünscht – dafür baut der Abschluss "Scheiße" Van Dannens Lieblingswort ein köstliches Denkmal, was umso amüsanter wirkt, da er zuvor entsprechende Reime konsequent sabotiert hat. "Keine Verbindung zu meiner Seele" spüren und doch ein warmherziges Panoptikum menschlicher Verfehlungen arrangieren – das soll ihm erst mal einer nachmachen. Zum Beispiel Wolfgang Niedecken.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Umsturz
- Lauterbach
- Das Jägerinnenlied
- Fuck you
- Keine Verbindung zu meiner Seele
Tracklist
- Kolossale Gegenwart
- Umsturz
- SinnLose
- Lauterbach
- Das Jägerinnenlied
- Fuck you
- Minderwertige Gedanken und Gefühle
- Die Wut
- Westdeutsche Jugend
- Sonnensong
- Wenn Du zur Ruhe kommst
- Das Kind in ihm
- Wahnsinnig
- Hochtoupieren
- Der Ziegenficker
- Lachsfarbene Unterwäsche
- Keine Verbindung zu meiner Seele
- Narzissen pflücken
- Positiv denken – negativ sein
- Scheiße
Im Forum kommentieren
Armin
2022-07-28 19:54:47- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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