070 Shake - You can't kill me

G.O.O.D. / Def Jam
VÖ: 03.06.2022
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Lupfen jetzt

Man stelle sich mal vor, da wird man mit gerade 20 Jahren in einem Champions-League-Finale eingewechselt und schießt das entscheidende Tor. Ein Tor für die Geschichtsbücher, ein Tor für die Ewigkeit. Der Lars-Ricken-Moment quasi. Dass er in seiner Karriere bis dahin bereits einige andere Meilensteine erfolgreich hinter sich gelassen hat – geschenkt. Aber wie kann es danach normal weitergehen? Wie hoch setzt man die Messlatte mit solch einer Leistung? Man kann daran nur scheitern, egal wie sehr man sich bemüht. Das musikalische Äquivalent könnte man – Stand 2022 – in Danielle Balbuena a.k.a. 070 Shake sehen. Die ist nämlich ebenfalls frische 20 Jahre alt, als sie auf Kanyes "Ye" den wahrscheinlich beeindruckendsten Moment der jüngeren West'schen Diskografie abliefert. Ihr jubilierendes Grölen auf "Ghost town" ist die Bogenlampe aus 25 Metern, ist eine Offenbarung. Aber wie kann es danach normal weitergehen?

Mittlerweile ist Balbuena zwar immer noch erst Mitte 20, aber langsam wird es ernst, könnte man sehr überspitzt sagen. Also so ernst, wie es mit Dutzenden Millionen Streams halt werden kann. War die Rezeption von 070 Shakes Debütalbum "Modus Vivendi" 2020 prinzipiell sehr wohlwollend, fehlte doch irgendwo der letzte Knalleffekt, den man sich ein bisschen zu gierig erhofft hatte. Ein Problem, das sich mit ihrem zweiten Album "You can't kill me" fortsetzt. Das Amalgam aus Pop, Rap und R'n'B ist zwar weit weg davon, eine zähe Masse zu sein, die jeglichen Charakter erstickt, und doch sind die 14 Songs stellenweise ein Blob, in dem Songs sich zu wiederholen scheinen und wahrnehmbare Highlights gesucht werden müssen.

So tastet man sich anfangs durch wie Bettlaken aufgespannte Synthie-Flächen, die sich im Wind heben und so zumindest ein Grundbedürfnis an Ästhetik erfüllen. Bis bei "History" das erste Mal hektische Drums ein bisschen Unruhe reinbringen und man die Laken reinholt. Oder in "Blue velvet" Streicher und Bläser behutsam Volumen in die Song-Installationen pusten, dass sie abheben könnten. Das reicht freilich nur, um die Ungeduld in Zaum zu halten. Aber dann endlich der erste richtige Knalleffekt, der auf die Endorphine-Freigabetaste prügelt: Die Techno-Effekte von "Cocoon" scheinen samt langer Ramp auf einen unvermeidbaren Drop hinauszulaufen, nur um dann irgendwo mitten im Takt die bösesten Drums des bisherigen HipHop-Jahres hereinbrechen zu lassen. Zu diesem Song formt man die Faust instinktiv zur Gewinnergeste.

Warum die New Jerseyerin die Hörer*innen so lange auf die Folter spannt, bis sie Futter in den ausgezehrten Leib schüttet, bleibt ein Rätsel. Auch das mit seinen dumpfen Effekten einem Unterwasserballett gleichende "Body" mit Christine And The Queens wird zum Überraschungshit, und von da an finden sich plötzlich überall die gesuchten Highlights. Gitarrenmelodien, brummende Basslines, sogar 070 Shakes Stimme bekommt wieder die Kraft, die sie in den Gemurmel-Abschnitten zwischenzeitlich fast vollständig verliert. Auf "Stay" kratzen ihre Vocals sich durch den Tracks, bis sie in einem öffnendem Gesang freigelassen werden. Dann ist man unweigerlich wieder bei diesem Lars-Ricken-Moment, ohne ihn ganz reproduzieren zu können. 070 Shakes Problem ist nicht ihre Musik, sondern die selbst gelegte Latte, an der sie sich messen lassen muss.

(Arne Lehrke)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Cocoon
  • Body (feat. Christine And The Queens)
  • Stay

Tracklist

  1. Web
  2. Invited
  3. History
  4. Medicine
  5. Skin and Bones
  6. Blue Velvet
  7. Cocoon
  8. Body (feat. Christine And The Queens)
  9. Wine & spirits
  10. Come back home
  11. Vibrations
  12. Purple walls
  13. Stay
  14. Se fue la luz
Gesamtspielzeit: 48:52 min

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Armin

2022-06-16 20:12:13- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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