Kreator - Hate über alles
Nuclear Blast / Rough TradeVÖ: 10.06.2022
Draufhauen mal anders
Nein, davon konnte nun wirklich niemand ausgehen. 40 Jahre ist es mittlerweile her, als ein 15 Jahre alter Schüler namens Jürgen ein Schlagzeug geschenkt bekam und gemeinsam mit seinem Kumpel, dem ein Jahr jüngeren Miland, in einem Keller in Altenessen herumzulärmen begann. Ambitionen waren Fehlanzeige, aber wenigstens wie ihre großen Vorbilder mal auf einer Bühne zu stehen, das wäre schon fein. Doch auch als drei Jahre später diese Band ihren endgültigen Namen Kreator erhielt und gar ins ferne Berlin reisen durfte, konnten sich die Kumpels nicht im Traum vorstellen, dass aus diesem juvenilen Krach einmal die größte und wichtigste Thrash-Metal-Band Deutschlands erwachsen würde. Mit Miland Petrozza als Gitarristen und Frontmann, der schon damals nur Mille genannt wurde, und Jürgen Reil, der sich später den Künstlernamen Ventor gab, am Schlagzeug. Band-Romantik, wie sie im Buche steht.
Auch im Alter von 54 Jahren sind es immer noch Werte wie Solidarität und Toleranz, die Petrozza vehement vertritt. Und natürlich sind es die so genannten Montags-Spaziergänge von vermeintlich quer denkenden Zeitgenossen, angefüttert von Fake News und Hasstiraden aus den Echokammern der nicht immer sozialen Medien, die Petrozza die Halsschlagader schwellen lassen – und die deshalb "Hate über alles", den Titeltrack des neuen Albums, zu einer solchen Eruption machen. Ein kurzes Intro mit dem wunderbaren Titel "Sergio Corbucci is dead" wird noch vorausgeschickt, dann bricht das Inferno herein. Ein mächtiger Schrei zum Start, dann faucht der Frontmann im gewohnten Stakkato-Gesang seinen Zorn in die Welt hinaus, kulminierend im Ausruf "Hate is the virus of this world!" Uff.
Schnell wird deutlich, dass die Essener, die durch den finnischen Gitarristen Sami Yli-Sirniö und den Franzosen Frédéric Leclercq am Bass verstärkt längst zu einer internationalen Band gewachsen sind, eine deutlich ruppigere Gangart anschlagen als noch auf dem bisweilen sehr filigranen Vorgänger "Gods of violence". Unterstützt durch die reduziertere Produktion entfalten Abrissbirnen wie "Killer of Jesus" noch deutlicher ihre Wirkung, stampfen Mid-Tempo-Banger wie "Strongest of the strong" noch entschlossener voran. Es ist ohnehin dieser bockstarke Mittelteil der Platte, der selbst auf der Couch noch zum Mitbangen animiert, angetrieben von starken Riffs oder auch einer feinen Hommage an Judas Priest in "Become immortal". Ein Song überdies, bei dem Petrozza seine persönlichen Anfangszeiten als Musiker mit all den Träumen und Illusionen reflektiert und mit dem entscheidenden Satz abschließt: "Remember where you come from."
Man könnte also sagen, dass bei Kreator alles beim Alten bleibt. Man könnte sogar vermuten, dass durch den Verzicht auf die feinsinnigen Nuancen in Yli-Sirniös Gitarrenarbeit der Sound eindimensionaler werden könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Denn es ist bekannt, dass Petrozza seit den recht umstrittenen Alben der Neunziger allzu große Veränderungen scheuen könnte. Doch innerhalb dieser vermeintlich einengenden Leitplanken des Thrash Metal finden sich immer wieder diese kleinen Experimente, diese Spannungsmomente. So gewinnen "Conquer and destroy" und "Midnight sun" durch Gastbeiträge von Drangsal und Sofia Portanet an Atmosphäre, und zu Beginn von "Pride comes before the fall" versucht sich der Frontmann gar an etwas Klargesang, der jedoch bald in seine typischen Schreie umschlägt. Und genau das ist das Entscheidende an der Philosophie eines Mille Petrozza: Der Wille, neue Ideen anzunehmen, muss immer im Einklang mit der Grundidee stehen. Dies gepaart mit den gewohnt offenen, persönlichen Lyrics sorgt dafür, dass Kreator auch eine der wichtigsten Thrash-Bands unserer Zeit sind. Und dies absehbar auch bleiben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hate über alles
- Become immortal
- Conquer and destroy
- Dying planet
Tracklist
- Sergio Corbucci is dead
- Hate über alles
- Killer of Jesus
- Crush the tyrants
- Strongest of the strong
- Become immortal
- Conquer and destroy
- Midnight sun
- Demonic future
- Pride comes before the fall
- Dying planet
Im Forum kommentieren
NeoMath
2022-06-18 20:22:13
Ach apropos Total Death (geiler Song übrigens; nie sang Mille gehässiger, finde ich)
Schonmal aufgefallen? -->
https://www.youtube.com/watch?v=XGRkJ0hNigg
Der Wanderjunge Fridolin
2022-06-18 16:33:41
Ich brauche die aktuellen Kreator auch nicht mehr, aber während den 80ern waren sie eine Offenbarung. Ich werde den ersten Durchlauf der ENDLESS PAIN nie vergessen, ausgeliehen auf Vinyl von nem Kumpel. Ich hab erstmal die Anlage leiser gedreht, um meine Eltern nicht zu verstören. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, ich sei nun komplett durchgedreht (waren halt andere Zeiten). TOTAL DEATH kann ich mir immer noch reinziehen und man hört bei den Songs deutlich raus, warum sie einen sehr großen Einfluß auf die zweite Welle des BM hatten. Die Norweger hatten ja damals alle Kreator gehört, erzählt Fenriz noch heute von. Meine Songfavoriten waren und sind:
Total Death
Tormentor
Terrible Certainty
Pleasure to Kill
Extreme Aggression
No Reason to Exist
Eine geile Zeit war das. Vielleicht sogar die geilste.
NeoMath
2022-06-18 16:02:56
Ah Black Matter Device sind fein, die kenn ich :-)
Mein Nick hat aber nix mit Mathcore oder -rock zu tun, nur mal so nebenbei ;-)
Meine Kreator Top 3 sind:
Extreme Aggression
Coma Of Souls
Violent Revolution
kiste
2022-06-18 11:39:27
Ja, so ging es mir bei den letzten beiden Platten auch. Das war alles zu berechenbar und öde auf episch gebürstet. Hier höre ich aber wieder etwas mehr Trash und eine kreative Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.
Prinzipiell ist dein Kommentar auf viele Kombos des Metal anwendbar. Da kann ich auch schon lange nichts mehr mit anfangen. Zum Glück gibt es genug geile Bands, die nicht in diesem Fahrwasser schwimmen.
ZBsp.: Black Matter Device, weil ich dein Pseudonym mit Mathcore in Verbindung brachte ;)
NeoMath
2022-06-17 19:11:39
Zuviel ödes Melodien-Rumgedüdel und billige Wacken-Mitgröhl-Refrains. Immer dieselben Textfetzen bei Kreator. Terror revolution hordes hate conquer strong dying blablabla... gähn.
Die haben leider keinen echten Biss mehr.
Schade.
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Kreator - Hate über alles (8 Beiträge / Letzter am 18.06.2022 - 20:22 Uhr)
- Kreator (23 Beiträge / Letzter am 14.02.2022 - 22:22 Uhr)
- Kreator - Gods of violence (12 Beiträge / Letzter am 11.02.2017 - 17:48 Uhr)