Kendrick Lamar - Mr. Morale & The big steppers

Interscope / Universal
VÖ: 13.05.2022
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Stachel im Fleisch

Die Erwartungen an ein neues Album von Kendrick Lamar sind hoch. Spätestens seit "To pimp a butterfly" gilt der Rapper aus Compton als Auserwählter. Ein Ausnahmetalent, das in jungen Jahren gleich zwei Klassiker veröffentlicht hat. Schon "Damn" zeigte, dass Lamar keine rechte Lust darauf hat, Erwartungen zu erfüllen. Danach wurde es still um ihn. Hier und da ein Feature, zwischendrin ein Soundtrack, 2022 schließlich ein umjubelter Auftritt beim Super Bowl. Und nun also die Rückkehr mit "Mr. Morale & The big steppers". Wie der Titel nahelegt, handelt es sich hierbei um Lamars erstes Doppelalbum. Obwohl es ein loses Konzept gibt, erreicht das Werk bei weitem nicht die thematische Dichte mancher Vorgänger. Der Grund dafür ist, dass Lamar nicht mehr voranprescht, sondern den Blick nach innen richtet. Es gibt viel aufzuarbeiten, viel zu erzählen.

"Mr. Morale & The big steppers" ist kein zugängliches Album. Die Zeiten der Mainstream-Kompromisse sind passé. Zwar gibt es mit "N95" und "Die hard" durchaus Tracks, die für die Singlecharts geeignet sind, in der Summe sperrt sich Lamar jedoch gegen kommerzielle Verwertbarkeit. So richtig verkopft wird es trotzdem nur selten. Worum es nun eigentlich geht, ist schwer einzugrenzen. Um Reife sicherlich, um das Ringen mit den immer absurder werdenden Vorstellungen der Öffentlichkeit ebenso. Gestrandet zwischen Straße und Preisverleihung sucht Lamar das Glück im Privaten, wobei er nicht davor zurückschreckt, sich mit Dämonen der Vergangenheit auseinanderzusetzen. So macht das herrlich zerhackte "United in grief" gleich zu Beginn klar, dass das Persönliche und das Politische Hand in Hand gehen. Doch Lamar will kein Prophet mehr sein. Vielmehr spielt er den Beobachter, hadernd und zweifelnd, aber noch immer optimistisch.

Ein Song, der sich bereits beim ersten Hören ins Gedächtnis brennt, ist "We cry together". Zu einem zurückhaltenden Piano-Beat liefert sich Kendrick mit der Schauspielerin Taylour Paige einen mit Flüchen durchzogenen Beziehungsstreit, der in Versöhnungssex mündet. Dick aufgetragen? Sicher. Aber eben auch verdammt eindringlich. Für Diskussionsstoff sorgt Kodak Black, der in mehreren Tracks auftritt. Der wegen diverser Vergehen verurteilte MC fungiert als zweifelnde Gegenstimme zu Kendricks Nabelschau, was dem Album zusätzliche Doppelbödigkeit verleiht. Besonders Kodaks autobiographischer Monolog in "Rich (Interlude)" sticht diesbezüglich hervor, da Kendrick ihm in "Rich spirit" Gedanken über die Unvereinbarkeit des Ruhms mit dem erworbenen Selbstbild folgen lässt. In eine ähnliche Kerbe schlägt "Father time", welches sich dem Altern und den damit einhergehenden Herausforderungen zuwendet und mit einem tollen Gastbeitrag von Sampha aufwartet. Überragend ist hier auch der Beat, der mühelos Sampling- und Songwritingkunst zusammenführt.

In der zweiten Hälfte des Albums wird es dann ruhiger. In "Auntie diaries" widmet sich Lamar seiner Haltung zu Transpersonen in der eigenen Familie und setzt sich dabei bewusst zwischen die Stühle. Die Frage lautet: Was darf man sagen? Der Künstler spielt bewusst mit dem Diskurs um politische Korrektheit, wobei es dem Hörer überlassen bleibt, sich ein Urteil zu bilden. "Count me out" stellt hingegen eine kompromisslose Auseinandersetzung mit den eigenen Schwächen dar. Lamar zeigt sich von seiner verletzlichen Seite. Die neue Innerlichkeit kulminiert schließlich in dem mit Beth Gibbons eingespielten "Mother i sober". Lamar verwischt die Grenzen zwischen dem lyrischen Ich und seiner Person. "I wish I was somebody / Anybody but myself", lauten Gibbons' Verse im Refrain, während Kendrick in den Strophen die dunkelsten Kapitel der eigenen Biographie erkundet. Was davon wahr ist, spielt keine Rolle. "I chose me / I'm sorry", verkündet der Rapper im abschließenden "Mirror" und liefert damit die wohl eindeutigste Aussage des Albums.

Musikalisch stellt "Mr. Morale & The big steppers" eine konsequente Weiterentwicklung dar. Noch immer ziehen sich jazzige Elemente durch die Beats, zudem spielt besonders das Klavier eine wichtige Rolle. Klassische Banger gibt es kaum zu bestaunen, einzig das eingangs erwähnte "N95" eignet sich zur Partybeschallung. Langweilig sind die Beats jedoch keinesfalls. "Worldwide steppers" wagt sich beispielsweise in Dub-Gefilde, während "Auntie diaries" mit einem großartigen Streicherarrangement aufwartet. "Mr. Morale" durchbricht schließlich die Wattigkeit mit Synthesizer-Triolen und dräuenden Chören. Unter der Oberfläche lauern stets Abgründe. Am Ende drängt sich ein Vers aus "Crown" auf: "I can't please everybody", singt Lamar dort immer wieder. Einsam ist es auf dem Thron, dornig ist die Krone.

(Christopher Sennfelder)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • N95
  • Father time (feat. Sampha)
  • We cry together (feat. Taylour Paige)
  • Count me out
  • Mother I sober (feat. Beth Gibbons)

Tracklist

  • CD 1
    1. United in grief
    2. N95
    3. Worldwide steppers
    4. Die hard (feat. Blxst & Amanda Reifer)
    5. Father time (feat. Sampha)
    6. Rich (Interlude)
    7. Rich spirit
    8. We cry together (feat. Taylour Paige)
    9. Purple hearts (feat. Summer Walker & Ghostface Killah)
  • CD 2
    1. Count me out
    2. Crown
    3. Silent hill (feat. Kodak Black)
    4. Savior (Interlude)
    5. Savior (feat. Baby Keem & Sam Dew)
    6. Auntie diaries
    7. Mr. Morale (feat. Tanna Leone)
    8. Mother I sober (feat. Beth Gibbons)
    9. Mirror
Gesamtspielzeit: 73:05 min

Im Forum kommentieren

Loketrourak

2024-05-06 23:29:48

Mach ich morgen auch mal wieder. Da ist wenig haften geblieben und Monate lang nicht gehört.

Felix H

2024-05-06 20:45:11

"The Heart Part 5" ist wirklich großartig!

Unangemeldeter

2024-05-06 20:35:15

Zustimmung, insbesondere zu The Heart Part 5.

The MACHINA of God

2024-05-06 19:29:05

Aufgrund der Diskussion im "Butterfly"-Thread (die es hier im Thread so ähnlich schon mal gab) hab ich diese hier mal wieder gehört, da ich dann doch recht schnell das Interesse verloren. Und es zieht sich schon sehr. Und da sind einige richtige gute Tracks dabei, aber kaum etwas begeistert. Hab grad direkt im Anschluss "The heart Part 5" gehört und der ist einfach soviel besser als jeder Track auf dem Album.

Felix H

2023-10-20 22:29:18

Made my day:

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum