Kellermensch - Capitulism

Motor / Edel
VÖ: 27.05.2022
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Vollbad in Melancholie

Eile mag man den Dänen von Kellermensch nun wirklich nicht unterstellen. Im Jahr 2006 hatte sich die Band in Esbjerg gegründet, erst drei – in Deutschland sogar fünf – Jahre später wurde das Debüt "Kellermensch" veröffentlicht. Die Qualität des Albums und die hochklassigen Live-Auftritte führten rasch dazu, dass den Skandinaviern das "Geheimtipp"-Fähnchen umgebunden wurde. Satte acht Jahre nach dem ersten Streich folgte 2017 der zweite: "Goliath" sorgte erneut für Staunen. Mit einer faszinierenden Mischung aus vielen Stilen spielten sich Sänger Sebastian Wolff und seine Kollegen tief in die Gehörgänge der wachsenden Anhängerschaft. Eilig haben sie es noch immer nicht, doch das muss kein Nachteil sein. "Capitulism" liefert fünf Jahre nach "Goliath" erneut viele große Momente.

Der Opener wählt auf instrumentalem Weg einen verhalten-nachdenklichen Einstieg. Filmmusik-Atmosphäre kommt auf. Ist hier vielleicht ein Autofahrer unterwegs zu einem unbestimmten Ziel? Dem luftigen Auftakt wird hernach Schicht um Schicht hinzugefügt, bevor die Sache scheinbar harmlos ausklingt. Und überleitet zu "6705", einem melancholisch-getragenen Biest von Song, das zunächst als Hommage an die Heimat missverstanden werden könnte. Doch der titelgebende Bezug zur Postleitzahl von Esbjerg ist eben keine vertonte Postkarte aus der Heimat: "I was buried alive / In 6705 / But I survived / And I'm digging still." Zur erdigen Düsternis gesellen sich gut versteckte Growl-Parts, die bei Kellermensch inzwischen übrigens kaum mehr eine Rolle spielen. "Mission" greift die vorangegangene Schwermut dann zunächst auf, steigert sich aber in einen amtlichen Furor. "Parking cars into positions / Doing things we don't want to." Die Trostlosigkeit im (nicht nur) dänischen Alltag.

Fast luftig-poppig geht es in "Follow you around" weiter, doch unter der vermeintlichen Unbeschwertheit lauern erneut Abgründe: "You took an inch, but still I have a mile / I've got many miles to go / Before I can meet you on the other side / The other side of letting go." Und eben darum geht es hier wie in so vielen Passagen: die Unfähigkeit, endlich loszulassen. Kellermensch baden auch in der Folge in Melancholie, werden aber nie weinerlich. Diese famosen Steigerungen in "Under", das Klagende in "Another drink", in dem die Flucht in den Alkohol gesucht wird: Die Band findet zu jeder Stimmungslage den passenden Ton. Im tollen "The light" schließlich weitet sich die Perspektive: "Sometimes you've gotta give up something / Sometimes you've gotta let go / Just to feel that your heart is beating." Wer das Vorangegangene intensiv verfolgt hat, ahnt: Das wird nicht einfach. Zum großen Finale schließlich nehmen sich Kellermensch noch "I'm not like everybody else" vor und kleiden das Stück von The Kinks aus dem Jahr 1966 in ein frisches Gewand.

Drei Alben in rund 13 Jahren: Vielleicht ist es genau diese Unaufgeregtheit, die den Dänen eine solche beständig hohe Qualität ermöglicht. Kellermensch dürften zwar auch weiterhin eher als Geheimtipp unterwegs sein, doch wer sie einmal kennengelernt hat, lässt sie nicht mehr los. Sägende Gitarren, stimmige Streicher-Passagen, eine atemberaubende Mischung aus Metal, Rock, Pop und vielem mehr: Diese Band ist definitiv "not like everybody else."

(Torben Rosenbohm)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • 6705
  • Follow you around
  • Under
  • The light

Tracklist

  1. Instrumental
  2. 6705
  3. Mission
  4. Nothing
  5. Follow you around
  6. Under
  7. Another drink
  8. The light
  9. I'm not like everybode else
Gesamtspielzeit: 38:50 min

Im Forum kommentieren

Eiersalat

2024-03-18 21:59:03

Gerade erst gecheckt, dass es dieses Album gibt, im Corona-Scheiß wohl bei mir untergegangen.

Immer noch ganz toller doomiger Indierock mit dieser famosen Stimme. Wird jetzt erstmal die nächsten Tage rotieren. Die Vorgänger waren schon toll.

Klaus

2022-06-24 20:47:02

Ja, locker 8/10.

Mann 50 Wampe

2022-06-24 20:19:22

I´m not like everybody else ist auch ein Hammer Song. Was für ein Abschluss. Tolles Album nach wie vor.

Klaus

2022-06-16 20:39:56

Habe die vor zig Jahren mal gehört und fand sie damals richtig furchtbar. Danke, dass ihr den Thread immer wieder hochgeholt habt, so läuft das gerade und ist ziemlich großartig.

The MACHINA of God

2022-06-11 18:46:15

Mit der Zeit hat mich das Album mehr bekommen als erst erwartet. Sie werden halt immer gemächlicher, aber das machen sie gut. Und "Follow you around" ist gigantisch und einer ihrer besten.

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