Kathryn Joseph - For you who are the wronged
Rock Action / PIAS / Rough TradeVÖ: 22.04.2022
Im Schmerz vereint
Wie schön darf Gewalt sein? Die Filmkritik debattiert diese Frage regelmäßig, doch auch das gesungene und geschriebene Wort muss zuweilen die Tonalität seiner Bildsprache rechtfertigen. Bei Kathryn Joseph geht es immer nur um Schmerz. "Bones you have thrown me and blood I've spilled", das Debüt der Schottin, kreiste um den Tod ihres Sohnes, und der Nachfolger "From when I wake the want is" behandelte andere Traumata aus dem privaten Umfeld. Die Lyrics der dritten Platte "For you who are the wronged" sind abstrakter, fokussieren aber wieder das Leid, das Menschen anderen seelisch wie körperlich zufügen. Oberflächliche Ohren könnten Joseph nun vorwerfen, die Brutalität ihrer Geschichten in akustische Watte zu verpacken: Ihre kindlich zitternde Stimme, begleitet nur von ihrem Keyboard und Lomond Campbells diffusen Synths, strahlt eine bedrückende Schönheit aus, anstatt die Auswirkungen der Gewalt hörbar zu machen. Doch wer ernsthaft mit solchen Urteilssprüchen ankommt, hat wohl nicht einmal den Titel verstanden. Joseph richtet sich nicht an die Täter, sondern möchte den Betroffenen Verständnis und Trost spenden. "For you who are the wronged" ist mehr Umarmung als Anklage, auch wenn das Album weiß, dass aufrichtige Empathie nicht ohne die Benennung des Missbrauchs funktionieren kann.
"What is keeping you alive makes me want to kill them for" lautet der ausdrucksstarke Titel des Openers. Der pure Minimalismus aus Flüstergesang und rhythmisch weinenden Tasten scheint die Luft aus der Umgebung zu saugen, jede andere Sinneswahrnehmung für nichtig zu erklären. "The burning of us all" kontrastiert den sanften Vortrag mit verbalen Flammenstößen in Richtung der emotionalen Manipulation: "The way they make you eat the shit out of their hand / As if this is all you know and understand." Die dreifach wiederholte Zeile "There is no one coming" wandelt sich in der letzten Strophe zu "There is someone coming", was nicht nur Hoffnung vermittelt, sondern auch verdeutlicht, wie sich das Album trotz aller Reduktion dynamisch weiterentwickelt. "Only the sound of the sea would save them" flüchtet sich in den Folk-Mythos einer heilenden Natur und steigert sich am Ende in einen Strudel wortloser Geisterrufe hinein. Ab diesem Punkt übertritt "For you who are the wronged" eine Schwelle: Die Tracks werden kürzer, lichtdurchlässiger, aber auch etwas üppiger. "How well you are" und "Until the truth of you" arbeiten merklich mit mehr Tonspuren, während Joseph in Letzterem auch aus ihrer stimmlichen Leisetreterei herausbricht.
Dennoch sprechen Songtitel wie "The harmed", "Of all the broken" oder "Bring to me your open wounds" weiterhin eine deutliche Sprache. "I'm not strong enough to watch them kill you", heißt es in "Flesh and blood" im Bewusstsein, dass ein Mord kein physischer Akt sein muss. Dass Joseph als Ausdrucksform Musik wählt, die man mit ein paar Beats und aufpolierter Produktion durchaus als Pop bezeichnen könnte, bedeutet keineswegs Gewaltverharmlosung. Vielmehr zeigt sie damit ihre Rohheit und Warmherzigkeit. Die 47-Jährige versteckt sich nicht hinter Verkünstelungen, stattdessen bauen ihre zugänglichen Melodien eine direkte Brücke zwischen sich und den "wronged". Sie erzählt keine Geschichten im klassischen Sinn, sondern fängt Stimmungen ein, dokumentiert Verletzungen, versorgt sie, so gut sie eben kann. Der grandiose Titeltrack ergeht sich irgendwann nur noch im Mantra "Hounded, wounded, blinded", in dem alle Emotionen mitschwingen: stille Wut, lauter Beistand, offene Trauer. "I am long gone", skandiert der Closer immer wieder, und nicht nur hier ist das Gedenken an diejenigen präsent, die es nicht geschafft haben. Als Künstlerin tut Kathryn Joseph ihr Bestmögliches, deren Zahl gering zu halten.
Highlights & Tracklist
Highlights
- What is keeping you alive makes me want to kill them for
- The burning of us all
- Only the sound of the sea would save them
- For you who are the wronged
Tracklist
- What is keeping you alive makes me want to kill them for
- The burning of us all
- Only the sound of the sea would save them
- How well you are
- Until the truth of you
- The harmed
- Bring to me your open wounds
- Flesh and blood
- Of all the broken
- For you who are the wronged
- Long gone
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Unangemeldeter
2022-12-21 11:29:37
Gerade in ein paar Listen im Jahresend-Diskussions-Thread erspäht, läuft bei mir gerade zum ersten Mal, irre schön!
Martinus
2022-06-05 09:11:29
Inzwischen mein Album des Jahres geworden.
Es läuft einfach jeden Tag mehrmals und immer wieder von vorn.
Wahnsinn.
Obrac
2022-06-05 09:02:40
Ein buchstäblich umwerfendes Album, wie ich finde, und für mich das Sommerhighlight bisher.
Hier stand Ihre Werbung
2022-05-23 08:00:38
"hier offenbar keine Lobby"
24 Views bei youtube (what is keeping you alive...).
Ähhh. Generell wohl recht unbekannt, die gute Dame. Klingt ganz nett, haut mich aber noch nicht vom Hocker.
Max der Musikliebhaber
2022-05-20 13:09:54
Ein rezensionswürdiges Album, eine gelungene Rezi und eine gute Auswahl in Sachen Referenzen.
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