Everything Everything - Raw data feel

Infinity Industries / AWAL / Rough Trade
VÖ: 20.05.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Körper und Geist

Wer oder was sind Everything Everything? An dieser Stelle lohnt die Betrachtung der für die Rezeption von Musik durchaus wichtigen Pole Komplexität und Eingängigkeit. In der zurückliegenden Dekade überzeugte die britische Band um Jonathan Higgs, den personifizierten stimmlichen Drahtseilakt in der Höhe, mit Stärken auf beiden Seiten: Von packenden, elektropoppigen Tanzflächen-Hymnen über feinfühlige und berührende Britpop-Kompositionen bis hin zu leicht vertracktem Art-Indierock ging vieles. Vor allem auf den Meisterwerken "Arc" und "Get to Heaven" faszinierte das Quartett mit der nahezu perfekten Mischung zwischen Ausgelassenheit und Nachdenklichkeit, zwischen körperlich bewegender Euphorie und emotional bewegendem Tiefgang.

Auch wenn es der auf den Dancefloor gefliesten Pop-Hits mit der Zeit mehr und mehr wurden, genau wie der Fans: Die Affinität zu komplexen Elementen, zu irrwitzigen Wendungen wohnte auch "Re-animator" von 2020 noch inne. Nun richtet sich der Blick auf das wenig greifbare, aber immer mächtigere digitale Parallel-Universum. Als die Pandemie Higgs und Co. die Nähe zum Publikum versperrte, bekam wegen mangelnder Probenzeiten auch das Bandgefüge eine neue Identität: “Raw data feel” ist das sechste Album der Band und Zeugnis von Songwriting inmitten von sozialer Distanz, oder, wie Higgs es beschreibt: neuer Wege, um Everything Everything zu sein. Künstliche Intelligenz (KI) als kreativer Partner? Ein Faszinosum für Higgs, der unter anderem zigtausende 4Chan-Kommentare in den Lyric-Generator einspeiste. Wenig überraschend klingt das neue Material wie die Single "I want a love like this" erneut einen Hauch clubbiger, schwitziger, repetitiver.

Der Opener "Teletype" startet ähnlich verwirrt wie Boris Becker im Werbeclip neben dem 56k-Modem im Jahr 1998, ein Surren kurz vor dem Kurzschluss. Des Grooves wegen, natürlich. Und der sitzt, in Kombination mit einem bandtypisch leicht hektischen, aber packenden Refrain, wie angegossen. So klingen nur Everything Everything. Und das Schöne dabei: Sie schütteln solche Tracks mittlwerweile mit Leichtigkeit aus dem Ärmel, man lausche in diesem Kontext auch dem knackigen, treibenden "Cut up". Auf ebenjenen Groove als Zauberkraft setzt auch die Auskopplung "Pizza boy", ist dabei etwas melodieseliger und luftiger arrangiert. So gerät der Auftakt des Albums insgesamt recht geradlinig. Subtiler wird es erst mit "Jennifer", einer bandtypischen Halbballade. Den Takt gibt das Schlagzeug an, nicht der Synthie-Beat, Chöre flankieren die bezaubernde Refrain-Melodie. Auch "Metroland is burning" funkelt die Discokugel mit melancholischem Strobo an, ehe das nachdenkliche "Leviathan" leicht missmutig den Absacker an der Bar schlürft.

Am besten allerdings sind Everything Everything nach wie vor, wenn sie mit unkonventionellen Mitteln Druck entfachen: "Shark week" schwingt sich auf markantem Synth-Riff durch das Jungle-Dickicht der Beats im Hintergrund und kommt dennoch daher wie ein Rocksong, der Refrain-Part fräst sich tiefer und tiefer in den Gehörgang. "My computer" bemüht sich um Konventionalität, kann die hohe Liga des Songwritings, in der die Briten spielen, aber nicht verhehlen. Ein recht unspektakulärer Beat, ein unaufgeregtes, aber hübsches Synth-Thema, frisch konterkariert von einem sich selbst überholenden Refrain. Ausfälle gibt es über die üppige Spielzeit von 50 Minuten keine, einzig im Vergleich mit den bisherigen Großtaten der Truppe, respektive den Übersongs, zieht "Raw data feel" ein wenig den Kürzeren. Das gut abgesteckte Feld ihres Schaffens zwischen komplex und eingängig jedoch bestimmen Everything Everything weiterhin ausschließlich für sich selbst.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Teletype
  • Jennifer
  • Shark week
  • My computer

Tracklist

  1. Teletype
  2. I want a love like this
  3. Bad Friday
  4. Pizza boy
  5. Jennifer
  6. Metroland is burning
  7. Leviathan
  8. Shark week
  9. Cut up!
  10. Hex
  11. My computer
  12. Kevin's car
  13. Born under a meteor
  14. Software greatman
Gesamtspielzeit: 50:05 min

Im Forum kommentieren

tjsifi

2022-05-24 13:51:58

Höre es auch seit Freitag jeden Tag mindestens 1x durch. Tolles Album.

lars.fm

2022-05-24 13:43:44

Schließe mich an. Gefällt mir etwas besser als der Vorgänger, nach den ersten paar Hördurchgängen locker eine 8/10. Hat einige unverschämt groovige Nummern diese Platte.

Grizzly Adams

2022-05-23 19:47:46

Eine dieser Bands, denen es scheinbar spielerisch gelingt, eine ganze Reihe Hits auf ein Album zu packen, dazu noch unerhört leicht einen sehr schönen Flow hinzubekommen. Und gleichzeitig immer noch meilenweit vom Mainstream entfernt zu bleiben. Wie machen die das? Die machen das einfach... Bin hier mindestens bei einer 8/10 aufs erste Ohr. RDF ist ein tolles Album geworden!

Kalle

2022-05-23 08:04:49

In meinen Augen das beste Album der Gruppe. Alle Ingredenzien der Vorgängeralben enthalten. Tolle Melodien in abwechslungsreiche ,auch ab und zu ruhigere Arrangements. Ein Ohrenschmaus.7/10 ist m. E. zu wenig.
9/10 passt.

Armin

2022-05-19 21:42:47- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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