
The Smile - A light for attracting attention
XL / Beggars / IndigoVÖ: 13.05.2022
Cheese!
Ein Blick ins proppenvolle Rock'n'Roll-Lexikon verrät dem interessierten Leser, dass das Wort "Smile" in der so langen und an Wendungen reichen Rockgeschichte von besonderer Bedeutung war. Einerseits trugt die von Gitarrist Brian May gegründete Queen-Vorgängerband diesen Namen. Erst als deren ursprünglicher Sänger Tim Staffell ausstieg und ein gewisser Freddie Mercury ihn ersetzte, wechselte man zum royalen Bandtitel. Nicht weniger legendär ist natürlich "Smile", das unvollendete, mythisch verklärte Album der Beach Boys, das Brian Wilson einige Jahrzehnte später in etwas anderer Form veröffentlichte. Und nun machen sich weitere – man darf sie wohl auch Legenden nennen – Musiker ans Werk, um mit ihrem neuen Nebenprojekt The Smile einen frischen Eintrag in den Geschichtsbüchern der Rockmusik zu hinterlassen. Hinter The Smile stehen mit Thom Yorke und Jonny Greenwood die vermutlich ausschlaggebenden 40 Prozent von Radiohead, unterstützt vom Tom Skinner, dem Drummer der vielgelobten Jazz-Gruppe Sons Of Kemet. Produziert wird der Spaß von Radioheads Haus- und Hof-Engineer Nigel Godrich. Was kann man von dem Debütalbum "A light for attracting attention" nun erwarten? Radiohead-Mucke mit Jazz-Schlagseite? Verkopfte Klänge für Akademiker? Oder Singles mit Niveau?
Wer einen Bruch mit Yorkes und Greenwoods Stammband erwartet, der hat womöglich die im Vorfeld veröffentlichten Songs nicht gehört, denn es wurde bereits früh klar, dass The Smile soundästhetisch gar nicht so weit entfernt vom Mutterschiff ankern. Das mag an Yorkes charakteristischer Stimme liegen, die noch jedem Projekt ihren Stempel aufgedrückt hat. Bereits der sich langsam steigernde Opener "The same" versprüht den klassischen Yorke-Vibe. Gut, vielleicht etwas mehr den des Solowerks, aber immerhin. Die unheilvollen Beats kommen durch alle Ritzen gekrochen, wie feiner Nebel – oder, besser noch, wie Rauch – erfüllen sie den Raum, während Yorkes Stimme durch den Äther schwebt. Das ganze erinnert dann auch an Moderat, was durchaus Sinn ergibt: Mit dem deutschen Eletronica-Trio hat der Radiohead-Frontmann in der Vergangenheit ja auch schon gemeinsame Sache gemacht. Das Komplementär-Stück "The opposite" startet hingegen mit nervösen Drums, der Bass vollführt einige Derwisch-Moves und die Lyrics stolpern auch irgendwie ungelenk in die Szenerie: Hier musizieren sich The Smile in einen weirden Strudel, inspiriert von Krautrock, Psychedelia und ausgelassener Jam-Musik.
Und ganz so, als wäre jeder Song die unmittelbare Reaktion auf den vorangegangenen, steigt die noise-verliebte Vorab-Single "You will never work in television again" deutlich geradliniger in die Eisen: So viel uptempo und ungezügelte Dynamik gab es im weitschweifigen Yorke-Greenwood-Kosmos schon länger nicht mehr. "Pana-vision" wirkt dagegen wie eine düster schillernde Klavier-Etüde, die irgendwann zu "Kid A"-Zeiten mal vom Laster gefallen ist. The Smile musizieren sich hier – vom London Contemporary Orchestra unterstützt – am apokalyptischen Abgrund entlang und liefern damit wohl bedauerlicherweise wirklich einen passenden Soundtrack zur aktuellen Zeit. Was bei alldem aber auch klar wird: Würde auf diesem Album das Etikett "Radiohead" stehen, man würde es zu keiner Sekunde hinterfragen. The Smile machen so viel nämlich nicht anders. Und der Jazz, den man vielleicht angesichts der Bandkonstellation erwartet hat, nun, den findet man lediglich in Spurenelementen. Skinner trommelt sich nicht in den Vordergrund, lediglich in den paar temporeicheren Songs setzt er bewusste Akzente. Die ausgeklügelte Rhythmik spielt auf "A light for attracting attention" dennoch eine wichtige Rolle.
Am besten wird das Album zur Mitte hin, wo die wahren, aber stillen Highlights warten: "Speech bubbles" ist eine luftige, fast schon zärtliche Hymne, die von Orgeltönen und Yorkes Falsett getragen wird, später gesellen sich Akustikgitarre und Streicher hinzu. Ein fragiles Drama in vier Minuten, das man sich so auch auf der letzten Radiohead-Platte "A moon shaped pool " hätte vorstellen können. "Open the floodgates" schlägt in eine ähnliche Kerbe, hier spielen The Smile ihren Außerirdischen-Pop mit jeder Menge Fingerspitzengefühl und einem ausgeprägten Sinn für Arrangements. Der größte Song folgt auf dem Fuße: "Free in the knowledge" ist eine herrlich entgeisterte Komposition, die schon jetzt zum schönsten gehört, was Yorke und Co. bislang erschaffen haben. Hier kommt auch Greenwoods Erfahrung als Filmmusikkomponist zum Tragen, denn diese Nummer hat alles, was ein Song, der selbst ein kleines Epos sein will, benötigt, um vollkommen aufzublühen. "A light for attracting attention" bewegt sich also mit dem gebührenden Selbstbewusstsein durch die Stile und Möglichkeitsräume, surft mit sicherer Orientierung durch das Radiohead'sche Koordinatensystem und hat letzten Endes das Zeug, um mindestens eines zu sein: eine kleine, wunderbare Fußnote in der Geschichte der Rockmusik.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Speech bubbles
- Open the floodgates
- Free in the knowledge
- We don't know what tomorrow brings
Tracklist
- The same
- The opposite
- You will never work in television again
- Pana-vision
- The smoke
- Speech bubbles
- Thin thing
- Open the floodgates
- Free in the knowledge
- A hairdryer
- Waving a white flag
- We don't know what tomorrow brings
- Skrting on the surface
Im Forum kommentieren
Old Nobody
2023-11-09 21:00:25
Da wird ja spekuliert, dass das der physische Release ist (wegen shipping)und der digitale sogar noch dieses Jahr sein könnte. Bin gespannt
ichreitepferd
2023-11-09 20:42:17
26.01. The Smile - Wall Of Eyes
Geleaked durch einen australischen Plattenshop:
https://www.reddit.com/r/TheSmile/s/iIF5KS1h5M
Gomes21
2023-07-08 19:26:47
Ganz großartiger Song, stimme da absolut mit ein, könnte mein Liebster sein. Mag das Album aber auch nach wie vor sehr gerne.
Unangemeldeter
2023-07-07 15:38:19
Ich mag den Gitarrenlärm am Ende nicht. Der Song bis dahin ist wunderbar, auch der Übergang von den Streichern zu den Gitarren ist toll. Aber die eigentliche Klimax ist irgendwie unbefriedigend. Statt Katharsis geht's mir dann auf die Nerven.
AliBlaBla
2023-06-28 10:22:59
Der Song ist für mich das Beste von SMILING RADIOHEADS seit langem.. find ich ganz famos.
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