Florence & The Machine - Dance fever

Polydor / Universal
VÖ: 13.05.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Mit klarem Blick

"She's like me when I used to drink", sagt Florence Welch in einem aktuellen Interview über ihre fünfjährige Nichte, "fun, but she wants to destroy everything and maybe ruin your life." Eine lakonische Offenheit prägt dieses Sprechen, die immer mehr Einzug in die Musik von Welchs Band Florence & The Machine hält. Früher, als die Britin ihre Songs nach eigener Aussage nur alkoholisiert oder verkatert schrieb, hatte man zuweilen das Gefühl, sie würde um ihr Leben singen. Nun ist sie seit acht Jahren trocken, ihr viertes Album "High as hope" kam merklich gelassener als der Rest daher, und "Dance fever" knüpft mit seiner textlichen Klarheit daran an, ohne auf der Stelle zu treten. Trotz der stilisierten visuellen Aufmachung inszeniert es seine Erschafferin nicht als Mythenfigur. Vielmehr lauschen wir hier den nahbaren existenziellen Reflexionen einer 35-jährigen Frau, die Angst vorm Muttersein hat, von ihren Schreibblockaden erzählt und ihre Dämonen zum klärenden Gespräch an den Esstisch setzt.

Gleichzeitig trägt "Dance fever" seinen Titel allerdings auch nicht zu Unrecht. "Choreomania", der Quasi-Titeltrack, verweist auf ein eigentümliches mittelalterliches Phänomen, bei dem Menschen wie wahnhaft bis zur totalen Erschöpfung, teils sogar bis zum Tod tanzten – und steigert sich selbst nach ruhigem Beginn immer mehr in seine atemlose Ekstase hinein. Laut Welch sollte sich die Platte bewusst wieder mehr dem Debüt "Lungs" annähern, und tatsächlich wirkt sie hibbeliger, lebendiger als ihr Vorgänger, auch wenn sie den leisen Tönen mindestens so viel Beachtung schenkt wie den euphorischen Explosionen. "I am no mother / I am no bride / I am king", erklärt die Protagonistin des Openers "King", mal triumphierend, mal unheimlich röchelnd, als würde sie zu einer furchtbaren Erkenntnis gelangen. Die orchestrale Katharsis im Schlussdrittel entwickelt deshalb so eine Wucht, weil der Track zuvor ohne Schnickschnack oder Tempo-Spielchen einen stoischen Schlagzeug-Beat entlangrollte. Spannung und Erlösung im perfekten, organischen Einklang.

Nicht nur in diesem Sinne hält "Dance fever" stets die Balance. In "Morning Elvis" gesteht Welch, wie sie einmal wegen eines Katers einen geplanten Ausflug nach Graceland verpasste: "I told the band to leave without me / I'll get the next flight / I'll see you all with Elvis if I don't survive the night." Die Geschichte wahrt sich trotz ihrer tagebuchartigen Spezifizität nicht nur einen universalen Nachhall, sie findet darüber hinaus bei allem Selbstekel ein hoffnungsvolles Ende. Ein konsequenter Maximalismus ist dabei nicht das Ziel, vielmehr werden die Arrangements immer songdienlich kalibriert. Die dezent Springsteen-eske, akustisch geschrammelte Glücksflut von "Free" sprüht nur so vor Streichern und allerlei anderen zitternden Instrumenten, um ihren überschwappenden Jubel gekonnt abzubilden. Im Gegensatz dazu strahlen der Ambient-Gospel "Back in town" und die kleine Folk-Ballade "The bomb" eine zärtliche Subtilität aus, für die Welch und Co. nicht gerade mit ihrem Namen stehen.

Stilistisch haben sich Florence & The Machine über ihre 15-jährige Karriere hinweg wenig verändert, woran auch die Beteiligung von Star-Produzent Jack Antonoff und Glass-Animals-Frontmann Dave Bayley nicht rüttelt. Ihr gleichzeitig Mainstream-freundlicher wie Indie-affiner Sound zwischen einer poppigeren, modernen Kate Bush und allen Arcade-Fire-Phasen lässt aber eh genug Freiraum für Variabilität und Nuance zu. "My love" kombiniert abgehobene Chöre mit einem verschwitzten Disco-Puls, während "Dream girl evil" herrlich schillernden Hippie-Soul zelebriert. Opernhafter Schmerzgesang leitet den schattigen Stampfer "Daffodil" ein, der am Ende unter Industrial-Hämmern zerschellt. Und "Cassandra", das größte Highlight, umrahmt sein altgriechisches Motiv mit einer guten Spur American Gothic samt "Let love in"-Orgeln, fährt den mitreißendsten Refrain des Albums ebenso wie seinen dringlichsten Spoken-Word-Part auf. Selbst hinter den unruhigsten Momenten und dunkelsten Zeilen von "Dance fever" wartet stets eine Wärme, die eine künstlerische wie emotionale Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart der Band und ihrer Frontfrau schlägt. Florence Welch hat sich endgültig ins Reine getanzt.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Free
  • Dream girl evil
  • Cassandra
  • Daffodil

Tracklist

  1. King
  2. Free
  3. Choreomania
  4. Back in town
  5. Girls against God
  6. Dream girl evil
  7. Prayer factory
  8. Cassandra
  9. Heaven is here
  10. Daffodil
  11. My love
  12. Restraint
  13. The bomb
  14. Morning Elvis
Gesamtspielzeit: 47:12 min

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maxyeatworld

2022-05-31 22:05:57

Wäre die Durststrecke im zweiten Viertel nicht, hätte es das stärkste Florence-Album werden können!

Francois

2022-05-19 09:04:40

mir ein wenig zu lang und eintönig nach dem ersten Durchlauf... paar gute Momente, aber dann wieder etwas zu viel des guten...

Grizzly Adams

2022-05-18 20:17:01

Läuft grad. Und nach den ersten beiden schönen Nummern, denke ich so:“Oh, sie hat irgendwie ein Killers/Brandon Flowers-Album gemacht!“ ;-) was ja nicht das schlechteste wäre. Klingt schon gut als erste Ohr. Daumen hoch von mir.

Edrol

2022-05-18 18:03:49

Ich bin bislang seltsamerweise nicht reingekommen. Kein Vergeich zu "How Big, How Blue, How Beautiful" für mich. Aber ich probier's weiter.

Armin

2022-05-12 20:57:53- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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