Belle & Sebastian - A bit of previous

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 06.05.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Im Fotoalbum blättern

Bescheiden und doch für manche Ohren verheißungsvoll kündigt es sich an, das tatsächlich erste echte Studioalbum seit dem polarisierenden 2015er-Release von "Girls in peacetime want to dance". Ihren nachdenklichen, quirligen Indie-Pop verfrachteten Belle & Sebastian dort nämlich kurzerhand auf die Tanzfläche, reicherten ihn so nachdrücklich wie nie zuvor mit elektronischen Klängen an. Das sagte nicht jedem zu, der zu Stuart Murdochs pointierten Geschichten lieber durch ein imaginäres Fotoalbum blättern möchte und das Wort "Kleinod" liebt. Nun prangt also "A bit of previous" – ein bisschen was von früher – als Überschrift über dem Dutzend neuer Songs, garniert vielleicht mit einem süffisanten Lächeln: Fürchtet euch nicht, die abtrünnigen Zeiten sind vorbei. Tatsächlich funktioniert der Titel auf verschiedenen Ebenen. Erstmals seit gut zwei Dekaden nahmen die Schotten ein Album in ihrer Heimatstadt Glasgow auf, und was zunächst als pandemiebedingte Notwendigkeit begann, dürfte auch die Stoßrichtung der Sessions beeinflusst haben. Zwar war eine kritische Auseinandersetzung mit der Nostalgie, ihren Tücken und Verlockungen, schon häufig Thema der Band, selten stand sie jedoch so sehr im Vordergrund wie auf "A bit of previous".

Mit den rückblickend wahren Klischees von einer Jugend, die noch nicht unter verantwortungsvoller Reife erdrückt wird, beginnt Murdochs Ritt in die Vergangenheit, inklusive folkiger Violine, klarer Statements und eingängiger Melodien: "Everything is fine when you're young and stupid." Sarah Martin flüstert im Outro mit der charmanten Stimme der Pubertät: "I'm so small, nothing matters, whatever." So einfach bleibt es freilich nicht und in der Folge tritt die Band auch eine musikalische Reise durch ihre verschiedenen Phasen an. "Do it for your country" vollzieht eine klassische Inversion, um deren Effekt Belle & Sebastian schon um die Jahrtausendwende herum wussten: Ein imposanter Titel entpuppt als sich fragile Weltschmerz-Ballade, deren zentrales Kennedy-Zitat eher die kleinen Träume inspiriert als die globale Bühne. Dazwischen tummelt sich ein Hit nach dem anderen. Im düster-erregten "Reclaim the night" entdeckt Sarah Martin ihre innere Stevie Nicks; schwermütige Chöre, Bläser und der abgehangen-traurige Groove der Single "If they're shooting at you" setzen manche Retro-Soul-Exploration der jüngeren Vergangenheit fort. Und im wunderbaren "Talk to me, talk to me", das dem gleichnamigen R'n'B-Klassiker von Little Willie John zuwinkt, fährt die Band das Tempo hoch, lässt Talk-Talk-Synthies und ein rockiges Gittarrensolo die Stimmung anheizen, während Murdoch der Sinnkrise ins Gesicht textet: "Delusions are my present currency."

Nach seinem herausragenden Auftakt franst "A bit of previous" in der Folge etwas aus, ohne jedoch seine abwechslungsreiche Spielfreude aufzugeben. "Unnecessary drama", zugleich erster Vorabsong, wirkt mit seiner distinkten Akkordfolge aber wie ein etwas lauwarmer Aufguss des The-Smiths-Klassikers "Stop me if you think that you've heard this one before" (welch Ironie!), woran auch die schrille Harmonika nichts ändern kann. "Come on home" wiederum lockt mit swingenden Strophen, die sich in einem großen Pop-Refrain entladen. Unterdessen zelebrieren Murdoch und Martin im Duett den intergenerationalen Dialog, der natürlich nicht ohne Augenzwinkern geführt werden darf: "Give a chance to the old / Set the record straight for the welfare state." Und auch Stevie Jacksons Beitrag schmiegt sich an die wesentlichen Fragen des Albums, wenn er im sepiagetränkten Walzertakt von "Deathbed of my dreams" pfeifend der Sentimentalität entgegen schunkelt.

"A bit of previous" präsentiert sich immer dann am Stärksten, wenn es adoleszenten Idealismus spannungsreich reagieren lässt mit den scharfen Einsichten des erfahrenen Erzählers. Der optimistische Soul-Pop von "Working boy in New York City" verabschiedet die Platte mit seiner freundlichen Forderung nach Toleranz, doch sind es die in den vorherigen Songs gesetzten klaren Stiche in Murdochs Texten, die am Ende nachwirken. "I lived my life so desperate to be in control / Scared of being hurt again / Now I realize it's all for nothing", bekennt er an einer Stelle und verrät damit auch eines der Geheimnisse von Belle & Sebastian. Verletzlichkeit wird letztlich gar zum fokussierenden Mittel, solange sie sich in verführerischen Melodien und gewitzten Erzählungen aufheben lässt.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • If they're shooting at you
  • Talk to me, talk to me
  • Reclaim the night
  • Do it for your country

Tracklist

  1. Young and stupid
  2. If they're shooting at you
  3. Talk to me, talk to me
  4. Reclaim the night
  5. Do it for your country
  6. Prophets on hold
  7. Unnecessary drama
  8. Come on home
  9. A world without you
  10. Deathbed of my dreams
  11. Sea of sorrow
  12. Working boy in New York City
Gesamtspielzeit: 48:02 min

Im Forum kommentieren

Bese

2023-02-16 02:27:03

Ich liebe das Album und bin sehr froh, dass ich es doch noch angecheckt habe. Ich habe „A bit of previous“ erst recht spät entdeckt, da mir die Band im Laufe der Jahre etwas egal geworden ist. Im Moment läuft es bei mir aber in Dauerschleife und wächst und wächst …, gefällt mir wesentlich besser als die aktuelle Veröffentlichung „Late Developers“, mit der ich wohl nicht mehr warm werde.

The MACHINA of God

2022-10-08 14:56:30

Hat jetzt ein neues Cover bei Spotify.

Gordon Fraser

2022-09-29 02:13:42

Oh, dünnes Eis. :) TLP steht bei mir mit ganz weit vorn im Oeuvre der Band. Da ist die aktuelle doch weit davon entfernt.

MopedTobias (Marvin)

2022-09-28 19:57:27

"The life pursuit" ist für mich ehrlich gesagt mit ihr "schwächstes" Album (Anführungszeichen, weil immer noch 7/10).

The MACHINA of God

2022-09-28 19:49:34

Besser als "The life pursuit"?

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