Peter Löwe - Ein gutes Leben

Eigenvertrieb
VÖ: 01.04.2022
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Weinende Emojis

"Und er sammelt weiter Jahre für einen tollen Lebenslauf / Ein spannendes Exempel für Erfolg": Schon als Peter Löwe noch den deutschen Emo-Helden Mikrokosmos23 vorstand, waren ihm das Rattenrennen und das Eigenheimleisten mehr als bloß Dornen im Auge. Auch der Titel seines neuen Albums "Ein gutes Leben" sowie dessen umwerfender Einstieg "Startlinie und Zielband", beides auf bittere Weise selbsterklärend, sprechen da Bände. Mikrokosmos23 tauchen in der Öffentlichkeit nun schon seit einer Weile nicht mehr auf, ihr Sänger tingelte aber weiterhin als Mustermannmusik durch Deutschland, hielt an der Idee mit beiden Händen fest. Auch dieses Kapitel scheint nun beendet, jetzt steht er zu seinem Klarnamen – der Imageberater aus der "Memorandum"-Rezension hat endgültig verloren. Und woran Löwe im Verborgenen gebastelt hat, während der Pandemiepause seiner aktuellen Band Elmar, verfehlt seinen Zweck nicht: Wie ein alter Freund schmiegen sich Stimme, Texte und Gitarrenspuren zwischen Liedermachergeste und Rockband-Resten an Hirn und Herz, sodass es eine wahre Freude ist.

Der Lo-Fi-DIY-Charakter der Aufnahmen klingt, gerade in den voll instrumentierten Stücken, einmal nach alten Genre-Klassikern vergangener Tage und sorgt andererseits dafür, dass kein unnötiger Kram von den unmittelbaren Botschaften ablenkt. An den Drums unterstützt Ex-Mikrokosmos23-Trommler Tom Pätschke, ein Freundschaftsdienst. "Mörtel" thematisiert den Rückzug ins Private, wenn man angesichts des ganzen Irrsinns da draußen nur noch resignieren kann. Tocotronic nicken wissend. Das wundervolle Songwriter-Kleinod "Stecknadel" wird in der Mitte zu urklassischem Indie-Rock und einer Ode an die oder den Partner*in. "Ein gutes Leben" changiert zwischen Liebesliedern und sozialkritischem Punk-Charme, den Eckpfeilern dessen, was schon Löwes Band damals in ihren post-hardcorigen Emo verpackt hat.

Mit "Eine neue Frage" und "Mein Baumhaus" sind darüber hinaus mindestens zwei Songs vertreten, die anno dazumal schon durch Mikrokosmos23-Setlisten gegeistert sind. Gerade letzterer bringt das Kunststück fertig, bei allem Leid gekonnt die scharfen Klippen des Kitschs zu umschiffen und trotzdem direkt in die Magengrube zu zielen. Man möchte Herrn Löwe fragen, wer ihm so dermaßen beschissen das Herz gebrochen hat, und erkrankt höchstwahrscheinlich sogar dann an bösartigem Liebeskummer, wenn man seit hundert Jahren in einer erfüllenden Beziehung ist. Es ist okay, Gefühle zu zeigen, liebe Punks. Wirklich. Und "Maggie mon amour" macht direkt da weiter.

Mikrokosmos23 haben nicht nur im Emo, sondern in der gesamten deutschsprachigen Gitarrenlandschaft eine Lücke hinterlassen, die zwar unzählige Schrammel-Bands neu zu bevölkern versuchten, die aber nie richtig gestopft werden konnte. In ähnlicher Intensität haben seitdem höchstens Heisskalt clever-unprätentiöse und dabei oftmals todtraurige Lyrics in spannende Musik kleiden können, die dann aber nach drei Alben genau den gleichen Weg in die Abgeschiedenheit wählten. Dass nun ausgerechnet Corona ein kleines bisschen die Rückkehr der Band bewerkstelligt hat, es lässt hoffen und daran glauben, dass potenziell auch der größte Mist für irgendetwas gut sein kann: Schöner leiden, gekonnter den großen Thees Uhlmann zitieren und wirkungsvoller die Gratwanderung zwischen unpeinlichem Herzschmerz, zaghaftem Lächeln und mitreißendem Songwriting meistern als Peter Löwe werden 2022, dem Jahr, in dem alles langsam wieder besser wird, wohl die wenigsten. "Es tut weh, damit es heilen kann."

(Ralf Hoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Startlinie und Zielband
  • Stecknadel
  • Eine neue Frage
  • Mein Baumhaus

Tracklist

  1. Startlinie und Zielband
  2. Dreck
  3. Mörtel
  4. Stecknadel
  5. Nur eine Seite (noch nicht die letzte)
  6. Eine neue Frage
  7. Mein Baumhaus
  8. Maggie mon amour
  9. Der Flieger
Gesamtspielzeit: 30:20 min

Im Forum kommentieren

sizeofanocean

2022-04-18 14:52:30

MK23 waren großartig, solo in Singer/Songwriter Manier gibt mir das allerdings wenig bis gar nix

Z4

2022-04-18 09:33:56

Oder ein paar alte Tomte-HörerInnen.

Z4

2022-04-18 09:33:22

Wäre es 2001 erschienen wäre es vermutlich ein Klassiker geworden. So etwas zu lieb und nett, auf dem Konzerten trifft man dann auch nur alte Mikrokosmos-Hörer im entsprechenden Alter ^^

MartinS

2022-04-17 22:04:12

Die ersten vier Songs sind unfassbar gut (allen voran der Opener), danach franst es für mich aber arg aus.
Dass Tomte-Zitat (hat Uhlmann die Zeile nicht selber anderweitig geborgt?) brauche ich nicht wirklich.

Armin

2022-04-15 23:45:08

(DIY statt DYI in der Rezension)


Danke, ist korrigiert.

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