Father John Misty - Chloë and the next 20th century
Bella Union / Sub Pop / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 08.04.2022
Sinfonien der Post-Ironie
Was wäre, wenn die kitschige Country-Musik aus dem Radio doch etwas Profundes zu sagen hätte? All die Klischees von abwesenden Geliebten vielmehr als Metapher funktionierten für ein existentielles Defizit, das sich darin aufspüren ließe? Fragen, die sich der Schriftsteller David Foster Wallace einst stellte, als er dem Gefängnis der Ironie zu entkommen versuchte. Mit den Alben, die Joshua Tillman seit inzwischen zehn Jahren unter dem Alias Father John Misty veröffentlicht, haben sie tatsächlich eine ganze Menge zu tun. Schließlich verhandeln diese unablässig die Widersprüche zwischen sarkastischen Generationenporträts und einem detachierten Zynismus auf der einen Seite, absichtsvoller Gesellschaftskritik und dem zuletzt auf "Gods favorite customer" nochmal präsenter gewordenen Wunsch nach persönlicher Aufrichtigkeit auf der anderen. Die verletzliche Grandezza von "Chloë and the next 20th century" schreibt diese Auseinandersetzung fort, führt sie eng und macht dabei doch vieles komplizierter. Schlüsselsätze liefert Tillman in der zweiten Single "Q4", wenn er singt: "She danced as if a dancer danced as if" – ein schwindelerregendes Vexierspiel. Aber auch: "The ironic distance kept her sane."
Tillmans musikalische Mittel sind dabei von der ersten Minute an so konsequent wie nie, aber auch auf beinahe eskapistische Weise traditionell. Orchestraler Pop nach bester Sinatra-Schule eröffnet "Chloë" als süffisante Erzählung über eine prätentiöse Bohemienne. Als diese sich schließlich vom Balkon stürzt, verabschieden sich auch die munter schwingenden Blechbläser, lassen ein leises Klavier zurück. Die auf samtweichen Streicherteppichen und versonnenen Slidegitarren voranschreitenden Country-Anklänge in "Goodbye Mr. Blue" oder auch "Only a fool" flirten mit dem eigenen Untergang; ihre Protagonisten bewegen sich durch die Welt wie durch eine Filmkulisse. Doch können das dezente Wippen der Schlagzeugbesen, der standhafte Kontrabass mit der Zeit die tiefe Schwermut nicht mehr verschleiern, die hinter der wattierten Eleganz der klassischen Arrangements lauert. Father John Mistys fünftes Album ist eines für jene Morgenstunden in der Bar, die bereits die Rückkehr in die kalte, leere, einsame Wohnung kennen, aber noch einigermaßen humorvoll ihre Fassade bewahren. Jonathan Wilsons stilsichere Produktion tut dabei ihr Übriges: In "(Everything but) Her love" klingt es, als sänge Tillman durch einen Regenschleier, "Kiss me (I loved you)" verwackelt subtil seine Stimme, wo die Erinnerung brüchig wird.
Langsam wabern sepiagetönte Augenblicke vorbei, offenbaren sich nach und nach. Im atmosphärischen Einklang der Lieder stecken dabei durchgehend hervorragende Arrangements aus der Feder Drew Ericksons. Doch es gibt sie durchaus, die Songs, die sofort hervorstechen. Tillmans wehmütige Gesangsmelodie und Dan Higgins' spärliches Tenorsaxofon jagen in "Buddy's rendezvous" einen Schauer nach dem anderen durch die müden Glieder. "Living for no one cost me way more than it's worth", stellt Tillmans Erzählstimme fest, die geradewegs aus einem Fitzgerald-Roman getaumelt sein könnte. Eine zeitlose Ode an jenen sehr viel selteneren Weltschmerz, der dann entsteht, wenn man sich selbst in die Peripherie verbannt – und einer der besten Songs, die Tillman bislang geschrieben hat. Im Anschluss erinnert das flottere "Q4" vielleicht am ehesten ans Vorgängeralbum und führt als erster Song so etwas wie eine rockige Gitarre ein. Freilich bloß als ein Bestandteil der barocken Opulenz, zu der hier auch ein Cembalo gehört.
Leichtfüßig und im Albumkontext etwas abstrakt zieht "Olvidado (Otro momento)" vorbei, das sich viel vom Bossa-Nova-Jazz der legendären Getz/Gilberto-Kollaboration abgeschaut haben dürfte. Tillman und sein Orchester steuern jedoch schon bald auf den offenen Horizont eines großen Finales zu. "The next 20th century" formiert sich als siebenminütiger sphärischer Epos voller unheilschwangerer Bilder, in denen sich die krisenhafte Zyklizität der Geschichte provokant im Privaten spiegelt: "Recite your history of oppression, babe / While you are under me." Nach zweienhalb Minuten brüllt ein dissonantes Gitarrensolo los, flankiert von brutzelnden Bläsern, dann legt sich der Staub. Schließlich begleitet eine geisterhafte Orgel Tillmans Stimme, die sich in mehrerlei Hinsicht in der Historie verliert: "And now things keep getting worse while staying so eerily the same / Come build your burial grounds / On our burial grounds / But you won’t kill death that way." Auf eine Weise begreift "Chloë and the next 20th century" also Tradition als Zusammenbruch und vice versa – berückt aber zugleich als träumerische Fantasie einer vergangenen Epoche. Und kommt somit beeindruckend weit in seinem Vorhaben, Authentizität und Inszenierung als falsche Dichotomie zu enttarnen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Goodbye Mr. Blue
- Buddy's rendevous
- The next 20th century
Tracklist
- Chloë
- Goodbye, Mr. Blue
- Kiss me (I loved you)
- (Everything but) Her love
- Buddy's rendevous
- Q4
- Olvidado (Otro momento)
- Funny girl
- Only a fool
- We could be strangers
- The next 20th century
Im Forum kommentieren
Z4
2023-03-13 15:48:03
Und sofort merke ich, wieso ich das nie geschafft habe. Mochte aber auch Randy Newman nie besonders, abseits von Filmmusik.
Z4
2023-03-13 15:45:58
Das waren ja auch saudumme Fragen. Aber höflich ist was anderes, ja. Vielleicht ist er es inzwischen gewohnt, mit eloquenten und klugen Feuilletonisten zu sprechen, und so ein Musikblog mit Amateur-Fragen nerven ihn komplett.
Gleich mal das Album hören, hab ich bisher verpasst.
AliBlaBla
2023-03-13 14:52:06
@edegeiler
Vielleicht einfach nur einen schlechten Tag gehabt, der "Father", -- allerdings passt zu seiner Figur auch keine Nahbarkeit/Kumpelhaftigkeit, finde ich. Die müssen ja nicht jeden Tag nett/auskunftsfreudig sein...
Komischer finde ich, das dann zu veröffentlichen (Mehrwert=Null)
edegeiler
2023-03-13 14:27:49
Auf laut.de gibts ein ähhhm "vielsagendes" Interview mit ihm. Ganz schön unangenehm.
Z4
2022-11-30 11:48:01
Goodbye, Mr Blue klingt ganz schlimm nach Cat Stevens, buah.
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