Waving The Guns - Am Käfig rütteln

Audiolith / Broken Silence
VÖ: 08.04.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Verbale Backpfeifen für geistig Arme

Deutschrap war mal ziemlich politisch, erinnert Ihr Euch? Advanced Chemistry rappten vom Fremdsein im eigenen Land, Anarchist Academy von Polizeigewalt und so mancher alte Track von Freundeskreis gleicht einer Geschichtsstunde. Und auch wenn manch eine*r behauptet, Straßenrap sei von Natur aus politisch, so legen die Großverdiener*innen im Geschäft bis auf wenige Ausnahmen doch recht wenig Wert auf die Auseinandersetzung mit komplexeren Themen. Sogar der Berliner Rapper und Streaming-König Ufo361 kritisierte zuletzt die "rückständige Haltung im Deutschrap." Leider meinte er damit nicht hirnlose Zeilen gegen Frauen und Homosexuelle, sondern bezog sich auf Fashion. Wenn man sich modisch auslebe, würde man direkt "als schwul, als Satanist" gelten. Aha.

Für weniger geistige Tieffliegerei und mehr geistigen Tiefgang muss man die Mainstream-Autobahn verlassen und in die dunkleren Gassen des Untergrunds abbiegen, wo systemkritische Künstler wie Vandalismus, PTK oder Waving The Guns ihr Unwesen treiben. Die Letztgenannten ziehen sich für ihr viertes Release die Sturmhauben wieder tief ins Gesicht und verteilen auf 16 Tracks gut gelaunt verbale Backpfeifen. Rapper Milli Dance versteht es noch immer hervorragend, Kritik und Anfeindungen lässig zu verpacken. Mit dem salonfähig gewordenen AfD-Bashing hält er sich dabei gar nicht erst auf und schießt sich lieber auf den Neoliberalismus, die freien Demokraten und die sich gegenseitig protegierenden Eliten des Landes ein: "Du kannst die Schwarzfahrerstrafe nicht zahlen, jetzt droht die Pfändung / Und Carsten Maschmeyer hat eine eigene Sendung / Wer hat, dem wird gegeben und wem's gut geht, wird geholfen / So wie immer, eine Krähe stört die andere nicht beim Golfen", heißt es in "Heli" folgerichtig. Waving The Guns ätzen gegen die abgestumpfte Mittelstandsgesellschaft, die damit zufrieden ist, den Status Quo zu verwalten oder das eigene Wohlbefinden auszubauen: "Du willst den Geschäftsführer sprechen und mit Anwalt klagen / Denn was soll das Flüchtlingsboot am Strand / Das ist nicht mehr Dein Gran Canaria."

Für die Beats ist bei dem Rostocker Duo Dub Dylan zuständig, der Waving The Guns' Sound aus Boom bap, Scratches und Samples treu bleibt. Bei "Besser als nichts" wird der Münchener Rapper Fatoni nur reingeschnitten, bei "Man tut, was man kann" darf er dann auch in Persona ran und liefert einen gelungenen Feature-Part ab. Hass und Häme äußern Waving The Guns meist mit einer gut gelaunten Anti-Haltung, schiefe Raps wie "Wir hauen nicht ab, außer du heißt Ab" sind dabei verzeihlich. Bei "Distanz" lässt Milli Dance durchblicken, wie zermürbend der tägliche Kampf gegen Windmühlen sein kann und ist "guter Dinge, dass die Dinge schlechter werden." Plattentests.de-Forumsuser Patrick bezeichnete die Musik auf Waving The Guns' drittem Album "Das muss eine Demokratie aushalten können einmal als "Antifantenmucke für geistig Arme" – vielleicht ist er bei den oberflächlichen Fashion-Victims besser aufgehoben. Für Fans von Inhalt und Systemkritik sind Milli Dance und Dub Dylan aber weiterhin eine sichere Bank.

(Andreas Rodach)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Heli
  • Lieblingsmilliardär
  • Gott zum Gruße
  • Coldplay & Nazis

Tracklist

  1. Gran Canaria
  2. Alles egal, alles hassen
  3. Heli
  4. Besser als nichts
  5. Rental van
  6. Lieblingsmilliardär
  7. Gott zum Gruße
  8. Plädoyer
  9. Coldplay & Nazis
  10. Ich weiß nicht recht
  11. Kernkompetenz
  12. Distanz
  13. Blase
  14. Siegelring
  15. Man tut, was man kann (feat. Fatoni)
  16. Nina Simone (W.T.G.)
Gesamtspielzeit: 54:17 min

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Armin

2022-03-30 21:39:50- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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