
Marillion - An hour before it's dark
Ear / EdelVÖ: 04.03.2022
Darüber wird zu reden sein
Wer sich ein bisschen mit Marillion beschäftigt hat – und dazu gab es in 39 Jahren seit dem Debütalbum "Script for a jester's tear" mehr als ausreichend Gelegenheiten –, der weiß, dass sich die Band nicht ganz unwesentlich über ihre Texte definiert. Angefangen bei den poetisch-abgehobenen Erzählungen des auf virtuose Weise verschrobenen Fish bis hin zur mahnenden Sozialkritik seines Mikro-Nachfolgers Steve Hogarth gibt es nur wenige Alben in der Karriere der Briten, bei denen sich der Blick in die Lyrics nicht lohnt. Wenn nun aber bereits bei der Promotion-Bemusterung von "An hour before it's dark" – nebenher das 20. Studioalbum der Neoprog-Urväter – gleich eine Datei mit den Texten mitgeliefert wird, ist die logische Schlussfolgerung, dass Marillion der Welt so einiges mitzuteilen haben.
"I saw a man paint a woman on the wall / Mask on her face, screen over her eyes / Hospital clothing, worried and exhausted / A thing of beauty, a thing of care / Pure class right there, right there / The angels in this world are not in the walls of churches." Vieles ist über die übermenschliche Leistung von Pflegenden während der Corona-Pandemie gesagt und geschrieben worden, doch mit "Care" setzen Marillion diesen Helden ein Denkmal, eingebettet in eine 15 Minuten lange Prog-Suite, die jegliche Aussagen, die Band könne emotional nicht mehr aufrütteln, sei gar dem saturierten Wohlfühl-Prog verfallen, widerlegen dürfte. Es ist der furiose Schlusspunkt einer Platte, die zunächst um Aufmerksamkeit buhlen muss, dann aber trotz kaum vorhandenen Pop-Appeals gewaltiges Sucht-Potenzial entwickelt.
Denn diese 54 Minuten, die beim ersten beiläufigen Hören vermeintlich unaufgeregt daherplätschern, entpuppen sich nach und nach als spannende Fundgrube. Wobei Ersteres – auch das gehört zur Wahrheit – leider teilweise auch an der indifferenten Produktion liegt. Wenn im Mittelteil des Openers "Be hard on yourself" Hogarth voller Wut über die Zerstörung der Erde Zeilen wie "Don't talk to me of need / Don't talk to me of want / Don't talk to me of dreams / The world has seen enough impatient bags of blood" ausspuckt und zynisch "The monkey wants a new toy" anfügt, dann dürften es gerne noch mehr Kanten im Sound sein. Dieses Vorhaben gelingt mit "Reprogram the gene" viel besser, das zwar textlich in die gleiche Kerbe schlägt, aber Marillion und insbesondere ihren Frontmann aggressiv wie selten zeigt.
Auch bei "Murder machines" müssen manche Details im Sound wie die verzerrten Synthesizer hart erarbeitet werden. Das ist an sich nicht schlecht, fordert es doch zum intensiven Hören auf, lenkt jedoch unter Umständen von den erneut unter die Haut gehenden Lyrics ab. Denn bei Zeilen wie "I put my arms around her / And I killed her with love / Tested positive / No antibodies / No vaccine / No escape" wird überdeutlich, wer diese "Murder machines" wirklich sind. Und doch sind da immer wieder diese großartigen Momente, diese langen Spannungsbögen, die dramatischen bis bombastischen Parts, die sich vielleicht nicht im Sinne eines Ohrwurms festsetzen, aber dafür sorgen, dass diese Platte einen irgendwann nicht mehr loslässt. Und damit zu einem der spannendsten Alben wächst, das Marillion seit längerer Zeit veröffentlicht haben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Reprogram the gene
- Murder machines
- Care
Tracklist
- Be hard on yourself
- Reprogram the gene
- Only a kiss
- Murder machines
- The crow and the nightingale
- Sierra Leone
- Care
Im Forum kommentieren
Ali67
2024-10-28 12:09:15
Ich bin froh, dass die Phase um die Jahrtausendwende mit den Alben Radiation/.com/Aoraknophobia rum ist. Da war Marillion (meine Lieblingsband, zusammen mit den alten Genesis) auf dem absteigenden Ast, haben dann aber mit Marbles die Kurve noch gut bekommen.
Mit der Doppel-CD "Happiness is the road" bin ich bis heute nie warm geworden, aber ab der "Sounds that can't be made" sind die wieder saustark geworden bzw. haben bis zur aktuellen Platte das hohe Niveau halten können.
Ach ja, die beste Platte mit Hogarth ist immer noch die Brave, so traurig, so melancholisch, das haben die so nie wieder hinbekommen.
Ali67
2024-10-28 12:05:47
Ich bin froh, dass die Phase um die Jahrtausendwende mit den Alben Radiation/.com/Aoraknophobia rum ist. Da war Marillion (meine Lieblingsband, zusammen mit den alten Genesis) auf dem absteigenden Ast, haben dann aber mit Marbles die Kurve noch gut bekommen.
Mit der Doppel-CD
Nada Dude
2024-10-25 23:55:02
Für mich das beste Album seit Season's End.
Ali
2022-03-29 00:26:34
@Marküs
das ist bei spotify eine Sache der Einstellung. Gehe bitte zu "Einstellungen" und aktiviere hier "Nahtlose Wiedergabe". Dann sind die Übergänge fließend, es gibt keinen Abbruch mehr zwischen den Übergängen.
Ach übrigens, die neue Platte ist toll. Nach so einer langen Durststrecke melden sich Marillion mit FEAR und jetzt AHBID eindrucksvoll zurück.
Die Top 5 der Hogarth-Ära für mich sind:
1. Brave
2. Season's end
3. Afraid of sunlight
4. Marbles
5. An hour......
Marküs
2022-03-25 13:24:48
Ganz übel ist es übrigens, die Platte auf Spotify zu hören! Zwischen jedem Teil der Songzyklen ein Abbruch. Katastrophal und mal wieder die Bestätigung dafür, dass Spotify Albenhörer hasst. ;-) Selbstverständlich steht das gute Stück aber auch Original im Schrank. Die Produktion finde ich ehrlich gesagt sehr gut, wird aber andernorts auch öfter mal kritisiert.
1. Marbles (9/10)
2. An hour before it's dark (9/10)
3. Season's end (9/10)
4. Brave (8,5/10)
5. FEAR (8/10)
6. Sounds that can't be made (8/10)
7. Happiness is the road - Essence (8/10)
8. Happiness is the road - The hard shoulder (6/10)
9. Somewhere else (6/10)
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