Destroyer - Labyrinthitis

Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 25.03.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Lass' laufen!

Dan Bejar ist kein Sänger, Dan Bejar ist ein Zeremonienmeister. Die Alben seiner Band Destroyer gleichen wort- und gestenreichen Gottesdiensten, die der Liturgie der Leidenschaft folgen. Seine Songs sind selten geradeaus- und zielgerichtet, sondern verlaufen sich gerne, nehmen Umwege, mäandern und machen an ungeahnten Stellen auch mal Halt, um die jeweilige Aussicht zu genießen. "Labyrinthitis" ist die nunmehr 13. Platte der Gruppe aus Vancouver und ein weiterer Baustein in einer Diskografie, die auf eklektische Weise dem Indie-Rock immer wieder neue Elemente hinzufügt, um ihn aus der Reserve zu locken. Auf "Kaputt", der wohl größten LP der Kanadier aus dem Jahr 2011, wurden beispielsweise Softrock und zwielichtiger Schmierlappen-Jazz mit feinen Nadelstichen auf wunderbare Weise ins Soundkostüm eingenäht. "Have we met", das kurz vor dem großen Corona-Ausbruch im Januar 2020 erschien, sorgte mit seinem flirrenden und großzügigen Disco-Appeal dafür, dass sich der ein oder andere Tag im Homeoffice wohl in einen fiebrigen Club-Traum verwandelte. Jalousien runter und ab dafür.

"Labyrinthitis" ist da, wie es der Titel schon andeutet, weniger greifbar, weil: verwinkelter. Mit Innenohrschmerzen muss man indes nicht rechnen. Die Platte wurde größtenteils in der für viele Künstler fruchtbaren Corona-Isolation geschrieben wie aufgenommen und soll nun mit möglichst maximalistischen Mitteln mythische und mystische Themen verhandeln. Inspirieren ließen sich Bejar und sein Kreativpartner John Collins vor allem von Bands wie New Order oder The Art Of Noise, die selbst ja dafür bekannt waren, ihre elektronisch dominierte Musik beständig und zielsicher weiterzuführen. Und genau hier schlagen Bejar und Co. eine thematische Brücke in die Vergangenheit: Eine kunstgeschichtlich bedeutende Strömung im 16. Jahrhundert war der Manierismus. Eine Epoche, die auf dem Gedanken beruht, dass der einzelne Künstler seine Stärken und Trademarks ins Maximum steigert, mit aller Macht betont und so etwas Einzigartiges schafft. Mit der Gefahr, dass am Ende jede Menge Pathos und selbstreferenzielle Nabelschau dabei herauskommt. Diesen Faden aufnehmend, widmen Destroyer die Vorabsingle "Tintoretto, it's for you" auch einem der bekanntesten Vertreter ebenjener Stilrichtung.

Dramatische Gitarrentöne eröffnen den Song, Bejars exaltierter Sprechgesang und unheilvolle Pianotupfer ergänzen einen ungewöhnlich offensiven und dynamisch spannenden Aufgalopp. Im weiteren Verlauf entwickelt sich der Song zu einer kleinen, auf das Dringlichste verdichteten Rock-Oper, die man in dieser Form von Destroyer so noch nicht gehört hat. Im ausladend schwofenden Disco-Boogie "June" werden dann auch wieder die Bezüge zu den letzten Platten klar erkennbar: Destroyer spielen besonders gerne sexy Clubmusik für Menschen, die ihre Hemden bis zum Bauchnabel aufgeknöpft tragen. (Alternativ sind Rollkragenpullis aber auch okay.) Dazu gibt es funky Gitarrenlicks, Saxofonbläser aus einer entfernten Dimension und deepe Messages von Bejar im Spoken-Word-Vortrag. Freunde von LCD-Soundsystem dürfen hier auch ihre Tanzschuhe schnüren. Und ihre hochgeknöpften Hemden öffnen. Der Titelsong wirkt hingegen eher wie ein rätselhaftes Interlude, bevor mit "Eat the wine, drink the bread" ein weiteres Mal dick aufgetragen wird: Pumpende Beats legen die Grundlage für einen dunkel funkelnden Beschwörungstanz, während sich Bejar erleichtert: "I piss on the floorboards / The whole world's a stage." Die Welt ist seine Bühne und er ... muss mal. Und wir? Lauschen andächtig.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • June
  • Eat the wine, drink the bread
  • It takes a thief

Tracklist

  1. It's in your heart now
  2. Suffer
  3. June
  4. All my pretty dresses
  5. Tintoretto, it's for you
  6. Labyrinthitis
  7. Eat the wine, drink the bread
  8. It takes a thief
  9. The states
  10. The last song
Gesamtspielzeit: 43:52 min

Im Forum kommentieren

fakeboy

2022-10-02 18:30:53

Spielen heute bei mir zuhause, „leider“ bin ich in den Ferien und verpasse das Konzert… Schade, letztes Mal als ich sie live sah war’s richtig gut.

Deaf

2022-10-02 18:03:22

Grossartiges Album, die Highlights sind gut getroffen, würde da aber auch noch den Opener und "Tintoretto" hinzunehmen.

Live gefällt das alles noch viel besser, wie ich gestern gemerkt habe. Der Bassist ist der Wahnsinn, z.B. im Schlussteil von "June".

fakeboy

2022-03-27 18:27:04

Auf mich wirkte sie beim ersten Hören sehr ausgefranst. Ich mag Kaputt sehr, mochte aber auch das letzte Album. Jetzt scheint er freier an die Songs ranzugehen, was mir vom Ansatz her eigentlich gefällt, aber als Album noch nicht richtig gezündet hat.

Gordon Fraser

2022-03-27 14:59:00

Keine Meinungen? Ist doch einer der größten Releases des Jahres bislang?

Ich bin wieder angefixt. Auf Bejar ist Verlass, wieder ein starkes Album. Die "Kaputt"-Wohlfühlsounds wurden wohldosiert durch den Reißwolf gedreht, mit cheesy Beats unterlegt, dazu brabbelt Bejar abstrakt-bizarre Texte - und das Ergebnis macht Spaß.

Armin

2022-03-23 21:18:18- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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