Nilüfer Yanya - Painless

ATO / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 04.03.2022
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Sollbruchstellen

"Miss Universe", Nilüfer Yanyas Debütalbum aus dem Jahr 2019, war eine kleine Offenbarung und eines der besten Erstlingswerke der Zehnerjahre. Die Britin mit irisch-türkischen Wurzeln hat den eingestaubten Onkel Indierock einmal auf links gezogen. Frech und frisch und mit einer Stimme gesegnet, die auch smoothe R'n'B-Nummern vortragen könnte. Ihre Songs klangen nicht nur zackig und dynamisch, sondern hatten einen ganz eigenen Charakter, einen Basso continuo, der den bunten Strauß Melodien zusammenhielt. Kollege Pilgrim ging damals womöglich etwas streng mit der jungen Britin ins Gericht, schrieb von Orientierungslosigkeit, aber dies sei ihm verziehen. Vielleicht wird's ja Liebe auf den zweiten Blick: "Painless", die neue Platte, baut weiterhin auf die Trademarks der Künstlerin, klingt zumeist aber komplett anders. Wo der Vorgänger die Sonne im Herzen trug und sich stürmisch gab, mischen auf Album Nummer zwei vermehrt Melancholie und Schwermut mit. Die neuen Stücke sind prächtig inszenierte Kompositionen, teilweise auch deutlich ruhiger und langsamer, wodurch die ohnehin sehr präsente Stimme noch mehr im Zentrum steht. Und ebendiese bricht genau an den richtigen Stellen.

Arlo Parks wurde letztes Jahr für ihr recht ähnlich gelagertes Albumdebüt "Collapsed in sunbeams" gefeiert. Bei Nilüfer Yanya kommen noch mehr Störgeräusche und ein fiebriges Zittern und Brodeln dazu, das Songs wie "Midnight sun" durchzieht. Wer hier Easy Listening für die ersten warmen Frühlingstage des Jahres erwartet, wird bitter enttäuscht. Yanya spielt verwinkelten Pop und labyrinthischen Rock, der sich und seine Schönheit nicht unmittelbar offenbart, sondern langsam und sehr behutsam entfaltet. Nur wenige Nummern gehen so in die Vollen wie "Stabilise", das sich in einen regelrechen Rausch spielt. Nach einem stakkatohaften Beginn entwickelt sich der Song zum besten Bloc-Party-Stück der jüngeren Vergangenheit, mit dem kleinen Haken, dass er eben nicht von Kele und Co. stammt. Das genaue Gegenteil davon ist "Trouble", eine repetitive Studie in Schwermut, die sich ins Kontemplative steigert. "L/R" gibt sich hingegen als lässiger Schleicher, der seine cool aus den Boxen perlenden 90s-Sounds ganz offensiv ausstellt und vielleicht noch am ehesten auch auf das Debütalbum gepasst hätte.

Das schon vorab ausgekoppelte "Anotherlife" mausert sich – obschon ans Ende der Platte getackert – zum astreinen Hit: Yanya verbindet hier den kalifornischen Sophisticated Pop im Stile Haims mit englischem Eigensinn. Die Gitarren funkeln im honigfarbenen Sonnenuntergang, während Yanyas Stimme diese Schwere mitbringt, die sämtliche Songs durchwirkt. Ohnehin machen die Vocals oft den Unterschied, Yanyas Stimme bleibt ein Faustpfand, das sie von vielen anderen Künstlerinnen abhebt. Schon beim Opener "The dealer" wird klar, dass Yanya als Songwriterin wie auch als Sängerin weiter gereift ist: Sie setzt hier nicht auf eingängige Refrains, sondern vielmehr auf spannende Arrangements. Die Songs der Britin erzeugen Stimmungen, die nicht immer eindeutig zu kategorisieren sind: Melancholie und Euphorie sind die widerstreitenden Pole und irgendwo dazwischen, im emotionalen Wechselbad, macht es sich "Painless" bequem. Subjektives Fazit: eine reife Leistung!

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The dealer
  • L/R
  • Stabilise
  • Anotherlife

Tracklist

  1. The dealer
  2. L/R
  3. Shameless
  4. Stabilise
  5. Chase me
  6. Midnight sun
  7. Trouble
  8. Try
  9. Company
  10. Belong with you
  11. The mystic
  12. Anotherlife
Gesamtspielzeit: 46:32 min

Im Forum kommentieren

Arne L.

2022-11-19 14:42:25

@Kojiro Same here und hab "Midnight Sun" aktuell sogar auf Platz 1.

Kojiro

2022-11-19 06:32:40

Wird immer noch gerne gehört und "Midnight Sun" kommt in die Top 2022.

ichreitepferd

2022-06-22 17:46:38

@Z4: Ich meine wo gelesen zu haben, dass Sky Ferreira Album dieses Jahr nicht kommt.

Saschek

2022-06-22 17:32:13

Die Produktion wird mit dem nächsten Album sicher besser. Das kann sie jetzt halt nicht mehr ändern. Bin mir sicher, dass ihr diese Diskepranz bewusst ist. Mich persönlich stört es nicht so.

Lateralis84skleinerBruder

2022-06-22 16:40:01

Nochmal. Ich kann das zwar alles wertschätzen, aber ohne die visuelle Komponente hält sie meine Begeisterung nicht so lange.
Es macht einfach unfassbar Spaß, ihr beim Spielen und Singen zuzusehen.
Live würde ich sie mir jederzeit angucken

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