
Fishbach - Avec les yeux
Entreprise / SonyVÖ: 25.02.2022
Ich seh, ich seh
"Wenn Du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in Dich hinein", schrieb ein nicht unbekannter deutscher Philosoph schon im 19. Jahrhundert. Einige solcher Abgründe haben sich 2017 auf dem Debütalbum "Á ta merci" der französischen Sängerin Flora Fischbach aufgetan: Tiefgründige kryptische Texte, gepaart mit vielschichtigen Reminiszenzen an die Musik der Achtziger. Abertausende Menschen haben dabei lange und intensiv genug gestarrt, dass sie komplett in die Schluchten gezogen wurden, in denen die Künstlerin, die unter der stilisierten Form Fishbach firmiert, mit ihrem Retro-Pop auf Französisch haucht, schmachtet und verzaubert. Wenn sie 2022 mit "Avec les yeux" quasi dazu auffordert, die eigenen Sinne zu schärfen und wieder genau hinzuschauen, dann kann man sich dieser Aufforderung nur schwer entziehen.
Das Album selbst hätte sicher schon vor längerer Zeit erscheinen können, doch neben Schauspiel, Modelling und DJing blieb wohl nicht die nötige Zeit. Umso erfreulicher, dass alle Zweifel ob der langen musikalischen Wartezeit schon mit "Dans un fou rire" wie weggeblasen sind. Da ist direkt wieder die unverhohlene Leidenschaft für die Achtziger und kitschige Synthesizer. Da werden die Zeilen von Liebe, Unwissenheit und dem Tod wieder bedeutungsschwanger über den Takt ausgebreitet. Und "De l'instinct" geht mit Claps und Uptempo sogar einen Schritt weiter und wird zu einer lüsternen Angelegenheit, bei der sich liebende Münder gegenseitig zu verschlingen drohen.
Denn Fishbachs Musik ist auch sexuell. Der offensichtlichste Hit in Form der Single "Masque d’or" fordert mit seinem Discobeat zum ausufernden Tanzen auf, nur um mit uns ins Hinterzimmer zu verschwinden und den Höhepunkt samt Vulkananalogie heraufzubeschwören. "Nocture" wiederum bietet sich mit einem Gitarrensolo, das zu den Sternen aufsteigen will, als Soundtrack eines Science-Fiction-Films an. Ist das hier noch Zitat oder schon Parodie? Auch "Tu es en vie" klaut seine Melodie frech aus einer Zeit, in welcher der Walkman der coole, heiße Scheiß war, und versteckt sich dabei nicht mal mehr sprachlich, wenn Fishbach entschuldigend verkündet: "I believe in love, I'm sorry."
Doch "Avec les yeux" ist mehr als eine launige Sammlung von Synthie-Pop-Songs. In der Musik der Französin werden die Melancholie und die Zerrissenheit zwar oberflächlich weggetanzt, doch sind sie nie ganz verschwunden. In "La foudre" bellt Fishbach beispielsweise noch etwas kehliger, wenn die Eifersucht sie wie ein Blitz trifft und sie kurzzeitig von Sinnen ist. "Démodé" bringt nicht nur einen Hintergrundchor, sondern auch Schrei- und Videospiel-Geräusche mit. Und einmal wird sogar komplett mit dem Soundmuster gebrochen, wenn "Quitter la ville" als reduzierte Gitarrenballade ausbrechen und ins Grüne ziehen will. Der klassische Chanson lässt sich als Inspiration erahnen, bevor ein geisterhafter, mehrstimmiger Gesang verschwörerisch in die Weite entführt – vermutlich in Flora Fischbachs Heimat, die Ardennen. Dort kann man dann für einen Moment Kraft sammeln und wirken lassen, was "Avec les yeux" Faszinierendes mit einem macht. Denn wenn man lange in dieses Album blickt, blickt das Album auch in Dich hinein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- De l'instinct
- Masque d’or
- La foudre
- Démodé
Tracklist
- Dans un fou rire
- De l’instinct
- Masque d’or
- Nocturne
- Tu es en vie
- Quitter la ville
- La foudre
- Téléportation
- Démodé
- Presque beau
- Arabesques
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Armin
2022-03-02 21:45:09- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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