Pauls Jets - Jazzfest

Staatsakt / Bertus
VÖ: 18.02.2022
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Alles und mehr

Pauls Jets sind vieles, aber sicher keine Truppe wie jede andere. Hinter diversen Fassaden bleiben die Wiener verkappte Punkrocker. Was sich eher in einer Scheißegal-Haltung zeigt denn konkret in ihrer Musik. Die zum Vierer angewachsene Formation haut weiter einfach raus, worauf sie Bock hat. Sei es noch so drüber, verleite es Hörer*innen aufgrund von Themen oder Lyrics auch zum berühmten Augenrollen oder ungeahnten Schwitz-Attacken. Auf Konventionen zu scheißen, war immer schon zumindest unterhaltsam. Für ihr drittes Album "Jazzfest" bedeutet das schlicht und einfach: ein Potpourri aus diversen "Feelings", wie es Musiker aus der österreichischen Hauptstadt formulieren würden, vielen Genres und ein paar Schnapsideen. Oder: 16 Songs, ein Interlude, ein Intro an Position zwei – und eine Platte, die am Ende mit über 70 Minuten nicht unter Doppelalbum-Format macht. So weit, so unklar.

"Flieger" ist auf Synthieflächen und in Wohlklang gebettet, in Sachen Cheesiness sicherlich an der Grenze. Spätestens wenn der "Lalala"-Chor das Stück entert, fragt man sich: Ist das noch Schlager oder schon Kinderlied? "Therapy" gibt sich im Anschluss düster und schroff, auch die Thematik ist ernst: "Dann kommt die Langeweile / Ständig kämpfst Du gegen sie an / Obwohl Du nichts dafür kannst, dass Du nicht mehr fühlen kannst." So manch ausgefeiltes Sound-Arrangement täuscht die Band nur allzu gerne an, die Intention dahinter aber liegt vermutlich auf einer anderen Ebene. Daher ist der Großstadt-Pop der Österreicher schwer zu greifen. Und doch ergeben die Gegensätze Sinn. Das tanzbare "Lazy generation" etwa ist ein Song wie ein Instagram-Post: schöner Schein zum schnöden Sein. Repitition ist auch ein Muster: Oft genügt Pauls Jets eine Melodiefolge, ein Refrain-Fragment, eine Akkordfolge, und dann flowt alles über Minuten vor sich hin wie etwa das beinahe bekifft-selige "Magdeburg".

Einfach mal fallenlassen, im Unklaren sein. Der Nebel ist Absicht. Und passt zu unserer Zeit. Die hübsche Auskopplung "Baby" schmiegt sich im warmen Dream-Pop-Mantel an einen großen Joint, mit breitem Grinsen, vollkommener Entspannung und einer gesunden Entfremdung von der Realität. Für den Rezensenten sind Pauls Jets aber noch immer in Stücken wie "Büro" am besten, wenn die Truppe sich den Tocotronic-Frühphasen-Scheitel einkämmt, schlicht und direkt ist: "Wenn Du traurig bist, dann geh nicht ins Büro." Ein durchaus gesunder Rat. Dass mit "Der Wecker läutet früh am Morgen" dann ein Sound-Fragment aus Trap, R'n'B und Whatever folgt, war auch irgendwie klar. "Beach" jammt im Anschluss mit Versatzstücken aus Jazz und Krautrock vor sich hin, bevor "Weekend" die 70s-Orgel-Rock-Party abfackelt.

Ob der coole Opener und Titeltrack ein sechsminütiges Dada- oder doch eher ein Gaga-Paket ist, liegt allein in den Ohren des oder der Hörenden. Inmitten von Dub, Sprechgesang und elektronischen Spielereien jedoch verteilen Pauls Jets in offenen Dialog-Fetzen eine Breitseite gegen das Musikbusiness und ziehen im selben Atemzug diejenigen sogenannten Kunstkenner durch den Kakao, die viel labern, dabei aber bloß sich selbst am geilsten finden. Ob sie hier Jazz-Fans meinen? Nur eine Vermutung. Das im Narrativ mäandernde "Obstbaumwald" zelebriert das leichte Sein über zehn Minuten. Spätestens an dieser Stelle muss der Rezensent kapitulieren, denn der Antrag auf Überlänge dieses Textes wurde abgeschmettert. Pauls Jets liefern mit "Jazzfest" alles und mehr, was man von ihnen befürchten konnte. Auch das gehört mit Sicherheit zum Plan.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Jazzfest
  • Baby
  • Büro
  • So richtig in love
  • Schmetterling

Tracklist

  1. Jazzfest
  2. Intro
  3. Flieger
  4. Therapy
  5. Kohlpechna
  6. Baby
  7. Lazy generation
  8. Büro
  9. Der Wecker läutet früh am Morgen
  10. Beach
  11. So richtig in love
  12. Jeder Freund
  13. Snippet
  14. Fake u lie
  15. Weekend
  16. Magdeburg
  17. Obstbaumwald
  18. Schmetterling
Gesamtspielzeit: 72:07 min

Im Forum kommentieren

manukaefer

2022-02-25 21:57:22

selbst Schuld, peter

peter73

2022-02-24 10:15:03

viel zu lang? kann man ja auch aufsplitten, 9 songs heute, die anderen morgen oder so... *luxury problems*


ich hab das jazzfest gestern abend in einem rutsch durchgehört, daneben lief cl... musik statt kommentare ist da die bessere alternative ;)

generell - heutzutage sind die platten entweder zu lang (beach house, pauls jets usw) oder mMN viel zu kurz (gibts jede woche in den reviews, alben die 30-35min laufen)... und da geb ich mein geld lieber für 70+ minuten aus als für die hälfte. für eine halben stunde laufzeit 16 euro oder mehr ausgeben - da komm ich mir verarscht vor, sorry :)

Gordon Fraser

2022-02-24 00:44:11

Wie der Rezensent hier muss ich vor allem feststellen: viel zu lang. Mag sein dass das Konzept ist, aber dann ist das einfach nix für mich. Schade, war die Band auf dem Debüt doch so herrlich fokussiert.

Pauls Jets, Beach House, Andy Bell, Big Thief... diese ganzen Überlängen-Alben gehen mir ein bisschen auf die Nerven.

hidden

2022-02-20 18:46:28

Finde ich ziemlich spaßig und abwechslungsreich. Mindestens 7/10.

MM13

2022-02-19 15:00:27

übertrifft komplett meine erwartungen,ist genial geworden, hatte schon live einen kleinen vorgeschmack als paul solo als support bei den sternen war, allerdings nur auf der gitarre, da ist das jetzt schon nochmal eine andere nummer,und eigentlich hätte ich mich im märz schon gefreut sie bei isolation berlin zu sehen, leider jetzt verschoben auf september, ich hoffe mal das sie dann trotzdem noch dabei sind.

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