Alt-J - The dream

BMG / Warner
VÖ: 11.02.2022
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Luzides Streunen

Wovon sollen wir träumen? Vielleicht von Kalifornien? Hauptsache einen "(Nice dream)", oder? Alt-J haben jedenfalls gleich ein ganzes Album voller Vorschläge im Angebot. Nachdem "Relaxer" seinem Titel nur so halbe Ehre machte, könnte "The dream" keinen besseren Namen tragen. Alles, was in diesem Dutzend Songs passiert, liegt unter einer dösigen Decke voll surrealer Verzerrung. Rückblicke, Fantasie und scheinbar willkürlich ausgewählte Zeitgeschehnisse vermengen sich zu einer Reise durch den eigenen Motorcortex. Joe Newmans Lyrics wandeln seit jeher auf einem Grat von Kindlichkeit und seltsamer Spezifizität, was gleichermaßen Alleinstellungsmerkmal, Wiedererkennungswert und Grundlage für schlechte Pitchfork-Bewertungen bedeutet. Nie haben sich jedoch eigentlich einfältige Zeilen wie "Summer holiday having fun / Happiness is between two buns" besser in die Musik von Alt-J eingefügt.

Das zitierte "U&me" ist der Song, der noch am ehesten das Wort "Hit" induziert, dennoch legt er sich lieber faul in den Schatten, anstatt nach vorne zu schreiten. "Hard drive gold" erzählt zu unterkühltem Hüftschwung aus der Perspektive eines Bitcoin-Millionärs und fordert "Gimme that gold straight into my hard drive". Bei Alt-J klingen auch weiterhin Nerd-Themen wie Aufforderungen zum Sex. "My teacher took me to one side and told me I was scum / I left then googled 'neoliberal'." Okay. Auch auf sympathische Weise völlig irre ist das Coca-Cola-Loblied "Bane" – nur echt mit dem Zischen einer frisch geöffneten Dose und dem gottgeweihten Chor, der regelmäßig seinen Senf zum Besten gibt. "The dream" ist weird, aber ohne zu fordern. Läuft es nebenher, ist es angenehm, ködert hier und da mit einer seiner zahlreichen unterschwelligen Hooks. Erst konzentriert über Kopfhörer lässt es jedoch wirklich das Eintauchen in seine Welt zu.

Dann fällt auf, wie viel Trauer hinter der tragischen Geschichte im zarten "Get better" steckt, das sich leise von "Get better / I know you will" über "I hope you will" zu "I hope I will" hangelt und sich an einer alten Tapeaufnahme schließlich verliert. Oder wie "The actor" sein beschwingtes und verdammt eingängiges "Cocaine"-Mantra über den Drogentod von John Belushi textet. Derweil verabschiedet sich "Chicago" nach angetäuschter Zahmheit als Ausreißer in einen düster pumpenden Elektrotrack, nur damit das wundervoll orchestrierte "Philadelphia" ein völlig durchgeknalltes Vintage-Sample reinhauen kann. Die Band zieht sich zudem zu Beginn von "Walk a mile" die Comedian-Harmonists-Anzüge an. Weil sie es können. "The dream" ist an jeder Ecke mit Details versehen, die beeindrucken oder ein Grinsen aufs Gesicht zaubern. Ganz ohne, dass Alt-J dabei angestrengt wirken – so wie das Gehirn den Traum auch mühelos weiterspinnt. Oder um Newman zu zitieren: "Oh, es war einfach."

"Losing my mind" ist kurz vor Ende die Klimax des Albums, eine mit "Bloodflood" oder "Adeline" messbare, emotional ergreifende Ballade, die sehnsüchtig einem nicht erreichbaren Ziel entgegenstrebt. "All I can see is a picture of me on holiday in the late Seventies", erinnert sich Newman, fügt später hinzu: "Is it easy to remember what it takes to be a man?" Hinter der Milchglasscheibe von "The dream" passiert so unglaublich viel, dass es nicht nur in einem Sinne unwirklich wirkt. Die Qualität von "An awesome wave" und "This is all yours" in allen Ehren, aber vielleicht haben Alt-J noch nie ein Werk geschaffen, das so gut von Anfang bis Ende fließt. Bis der Gitarrenpopper "Powders" ganz sanft aus den Federn rauskitzelt. Guten Morgen!

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • U&me
  • The actor
  • Philadelphia
  • Losing my mind

Tracklist

  1. Bane
  2. U&me
  3. Hard drive gold
  4. Happier when you're gone
  5. The actor
  6. Get better
  7. Chicago
  8. Philadelphia
  9. Walk a mile
  10. Delta
  11. Losing my mind
  12. Powders
Gesamtspielzeit: 49:27 min

Im Forum kommentieren

tjsifi

2024-02-28 10:17:56

Vielleicht sollte ich dann auch nochmal reinhören, von damals ist nicht viel hängen geblieben, die Platte hatte ich schnell als "mittelgut" abgehakt.

Francois

2024-02-27 14:50:44

geht mir genauso, wie Gomes21... obwohl das davor ja nicht schlecht war...
aber The Dream ist ein unfassbar schönes Album!
Neu verliebt in die Band - auch live.

Gomes21

2024-02-27 14:28:32

Nach wie vor Hammer Album, mit mein liebstes aus dem Jahrgang. Ganz unverhofft neu in Alt-J verliebt nachdem ich sie für mich quasi abgehakt hatte.

musie

2024-02-27 14:01:07

Hab das Album auch als sehr stark in Erinnerung. Aber schon länger nicht mehr gehört. Die Carbs Remixe sind grossartig.

Lateralis84skleinerBruder

2024-02-27 13:39:48

*hust

Nach langer Abwesenheit mal wieder am Stück gehört.
Wundertolles Album. Nach wie vor.
Wie schön mit Powders abgeschlossen wird.
Kann jemand das Sample mit dem Monolog benennen? Wird sicher ein Film sein. Würde ich mir gern ansehen

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