Tara Nome Doyle - Værmin

Martin Hossbach / Modern / BMG / Warner
VÖ: 28.01.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Im Terrarium

Es kreucht und fleucht bei Tara Nome Doyle. Die Berliner Songwriterin mit norwegischen und irischen Wurzeln sucht die Schönheit dort, wo andere angewidert wegschauen. Man lauscht andächtig und beinahe mit angehaltenem Atem, wenn Doyle mit ihrer glasklaren Stimme zu sakralen Orgelklängen "Leeches I" anstimmt – der mutmaßliche Gottesdienst wird dann tatsächlich zur Messe, wenn Piano und Beat einsetzen und die Künstlerin Gebete einfordert: "Pray for the leeches." Damit man die titelgebenden, glitschigen Blutegel vielleicht doch eines Tages ins Herz schließen wird? Eine absolute Wonne von einem Opener und Auftakt für ein im besten Sinne sperriges und kunstvolles Piano-Pop-Album, das sich am Konzept des Ungeziefers als metaphorischer roter Faden abarbeitet. Als ginge es um eine auf den ersten Blick widerwärtige Variante von Dear Readers "Idealistic animals", widmet sich jedes der 13, mal ausgearbeiteten und mal eher bloß skizziert anmutenden Stücke im Titel einer anderen Kreatur. Und beschäftigt sich doch in Gänze mit dem gebeutelten Innenleben seiner Urheberin.

"You don't need friends, you just need me / Kill your darlings, 'cause they don't understand you like I do": "Caterpillar" ist der nächste Instant-Hit, in dem Doyle erneut nicht mehr als ihre Orgel und ein zurückgenommenes Drum-Pattern benötigt, um ihre Metamorphose von einer zunächst verschmähten Raupe zum wunderschönen Schmetterling zu inszenieren, der dann die Aufmerksamkeit des Angebeteten erregt. Die beiden Teile von "Snail" etablieren das Leitmotiv: Die Sehnsucht nach der verflossenen Liebe schwindet so langsam, wie eine Schnecke vorankriecht – aber sie schwindet. Selbst wenn auch die ambitionierteste Schnecke immer eine Schnecke bleiben wird. "Slow and steady wins the race" – irgendwann bist auch Du am Ziel, scheint Doyle ihren Hörer*innen Mut machen zu wollen. Die Streicher-Arrangements von Simon Goff, der für seine Beteiligung am Soundtrack zur gefeierten HBO-Serie "Chernobyl" schon einen Grammy sein Eigen nennen kann, untermalen den Song ungemein passend, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Wie auch weiter hinten im tastengetriebenen "Moth", wenn Doyle mit toxischen Ex-Liebhabern abrechnet: "You're like a moth drawn to my pain."

In der Interlude "Mosquito" schichtet Doyle mehrere Stimmlagen übereinander und wird so ganz allein zu ihrem eigenen, sehr persönlichen Chor. Generell ist das Musikinstrument, das sie aus ihrer Stimme macht und das sie mit ungeheurer Virtuosität zu spielen weiß – man siehe auch "Spider" – eines der prägnantesten Merkmale von "Værmin". Im eingängigen "Crow" darf dieses auch mal synthetisch verfremdet werden; Agnes Obel gefällt das. Die liebgewonnenen Blutegel bekommen mit "Leeches II" im weiteren Verlauf eine Fortsetzung spendiert, die am Ende gegenüber der über weite Strecken vorherrschenden Reduktion der vorangegangenen Songs schon beinahe pompös wirkt.

Ganz kann Tara Nome Doyle das Niveau der ersten Stücke zwar nach hinten heraus nicht halten, sonst könnten wir uns auch gut und gerne über eine noch höhere Bewertung unterhalten – spätestens nachdem "Vær min" zum Schluss auch auf Norwegisch in seinen Bann zu ziehen weiß und der Titel auf einmal nicht mal mehr bedeutet, was man zunächst angenommen hatte. Aber wie schon beim krabbelnden Viehzeug, das Doyle thematisiert, geht es hier nicht um Perfektion oder darum, nur die leicht verdauliche Eleganz, nicht aber die Ecken und Kanten der Lebewesen um einen herum wahrhaben zu wollen. Wie bei einem Moskitostich oder auch sonst so oft: Es tut nicht für immer weh. Und die Spinne hat mehr Angst vor Dir als Du vor ihr.

(Ralf Hoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Leeches I
  • Caterpillar
  • Snail I
  • Crow
  • Moth

Tracklist

  1. Leeches I
  2. Caterpillar
  3. Snail I
  4. Snail II
  5. Mosquito
  6. Crow
  7. Moth
  8. Spider
  9. Worms
  10. Leeches II
  11. Vermin
  12. +
  13. Vær min
Gesamtspielzeit: 40:31 min

Im Forum kommentieren

Sick

2022-01-28 17:33:20

Ich finds ganz toll. Klavier, Streicher und dann diese Stimme... Mindestens 8/10.

Ralph mit F

2022-01-27 10:42:56

Gab schon nen Thread.

https://www.plattentests.de/forum.php?topic=100073&seite=1

Armin

2022-01-26 20:53:15- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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