Anna von Hausswolff - Live at Montreux Jazz Festival

Southern Lord / Cargo
VÖ: 14.01.2022
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Ein Abend am Abgrund

Berlin, August 2018. Auf dem Gelände der Kulturbrauerei läuft gerade eine Ausgabe des Pop.Kultur-Festivals. Im Rahmen dessen spielt im Kesselhaus Anna von Hausswolff samt Band und stellt ihr aktuelles Album "Dead magic" vor. Dieser Abend wird unvergesslich, denn was die Schwedin präsentiert, ist der blanke Wahnsinn. Hoch oben auf der Bühne wütet sie an ihrer E-Orgel und schreit, keift, singt sich dabei die Seele aus dem Leib. Wo die zierliche, kleine von Hausswolff ein derartiges Stimmvolumen herholt, mit dem sie über dem Orgel-Doom ihrer Band thront, ist bis heute unfassbar. Jede Sekunde scheint das Backsteingemäuer, in dem sich diese Szenerie gerade abspielt, stärker zu beben. Nach etwas über einer Stunde ist der Spuk zwar vorbei, aber man weiß kaum, wie viel Zeit gerade vergangen ist – und alles hallt bis zum heutigen Tage nach. Diese unglaubliche Wucht ist zwar erahnbar, wenn man die Studioaufnahmen von "Dead magic" und "The miraculous" kennt, aus denen ebenfalls Songs vertreten sind – was jedoch hier live passiert, sprengt alles.

Wenige Tage zuvor sind von Hausswolff und ihre Band zu Gast beim Montreux Jazz Festival und supporten dort Nick Cave. Von diesem Auftritt stammt nun das erste offizielle Livealbum der Schwedin und die Ereignisse spiegeln sich. Obwohl der optische Eindruck fehlt und hier lediglich die Musik aus den Boxen schallt, ist alles sofort wieder da. Dieser epische Lärm, dieses höllische Geschrei, der wahnsinnige Ritt durch nur etwas mehr als eine Handvoll Songs mit einem Höhepunkt: "Ugly and vengeful", jenes zentrale Stück von "Dead magic". 20 Minuten. Zehn davon eine zähe Masse langgezogener Töne, dann eine Kunstpause, die ein Ende erahnen lässt, aber eine tückische Falle ist. Ein dröhnender Orgelaufbau, treibendes Schlagzeugspiel und irgendwann, als die Wall of sound ihren Höhepunkt erklommen hat, steht da oben von Hauswolff und wirft Laute und Wortfetzen herunter.

Der komplette Auftritt, beginnend mit "The truth, the glow, the fall" über "Pomperipossa" und "The mysterious vanishing of Electra" scheint auf diesen finalen Ausbruch hinzuarbeiten, der jedoch noch lange nicht das Ende ist. "Källans återuppståndelse" ist es nun, das mit einen kurzen Bruch ein abermaliges Finale einläutet. Atmosphärische Flächensounds, dazu eine von Hausswolff, die nun mit klarer, wunderschöner Singstimme zu einer Mundharmonika-Melodie eine komplett andere Seite ihres Wirkens herausstellt. Den Abschluss dieser nun veröffentlichten Aufnahme bildet "Come wander with me / Deliverance", seines Zeichens Highlight von "The miraculous", das schon seit einiger Zeit auf von Hausswolffs YouTube-Kanal zu finden ist. Ebenfalls ein wahnsinniger Brecher mit mehreren Aufbauten, die sich zu Lärmspitzen verdichten. Unterstützt wird von Hausswolff hierbei von ihrer Schwester Maria, wobei in diesem ganzen Chaos akustisch nicht auszumachen ist, wer hier welche Zeilen übernimmt. Während sich nun, drei Jahre später, mit einem letzten Gitarrensolo der Vorhang laut schließt, gibt es an diesem Abend in Montreux ein anderes Ende: Anna und Maria, die zu den wundervollen, ruhigen Klängen des unveröffentlichten "Gösta" gemeinsam durch die Menschenmenge hinweg den Ort des Geschehens verlassen. Wenn es irgendetwas gibt, was an dieser Aufnahme zu kritisieren ist, dann ausschließlich, dass dieser Moment leider fehlt.

(Klaus Porst)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Ugly and vengeful
  • Come wander with me / Deliverance

Tracklist

  1. The truth, the glow, the fall
  2. Pomperipossa
  3. The mysterious vanishing of Electra
  4. Ugly and vengeful
  5. Källans återuppståndelse
  6. Come wander with me / Deliverance
Gesamtspielzeit: 59:38 min

Im Forum kommentieren

Klaus

2024-01-27 10:58:41

Das Album ist laut einem Post von Silvester bereits fertig, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.

Unangemeldeter

2024-01-27 10:23:25

Nee, ich wollte poppig auch nicht wertend verstanden wissen. Urteile sind ja nach einem Mal hören (und dann auch noch live) unmöglich, aber direkt umgehauen hat mich jetzt keiner der neuen Songs (das war bei Dead Magic definitiv anders), auch wenn viele Parts sehr schön waren. Deswegen meine Hoffnung dass da noch gefeilt wird - aber wir werden ja sehen was sie aus dem Studio raushaut.

Deaf

2024-01-27 08:05:47

Der Work-in-progress sollte nun eigentlich fast abgeschlossen sein, da dieses Jahr das neue Album erscheinen soll. Und ein paar Songs wurden ja schon im Oktober 2022 gespielt, wie man weiter oben im Thread sieht. Das mit dem Saxophon hört sich spannend an, mal sehen, was da auf uns zu kommt. Der alte Kram, bspw. "Mountains Crave" von der "Ceremony", war jedenfalls auch schon sehr poppig, muss also nichts Schlechtes heissen.

Unangemeldeter

2024-01-27 07:50:57

Ich war auch da. Es war schon sehr gut und vor allem interessant, weil sie ja bis auf die 3 erwähnten Lieder wirklich nur neues Material gespielt hat. Das war stilistisch doch deutlich anders und gefühlt nicht so sehr auf Katharsis und Klimax ausgelegt wie noch die Dead Magic. Es wechselten sich kürzere Instrumentalstücke mit längeren Songs ab. Die Instrumentals waren quasi Orgeldrones mit Bandbegleitung, das hatte immer mal wieder auch noch ein wenig Jam-Charakter. Die "richtigen" Songs waren für mein Ohr deutlich poppiger als der alte Kram (insbesondere vom Gesang her, bei einem Lied musste ich sehr an ABBA denken) und das Saxophon war wie Eiersalat schrieb oft das definierende Instrument. Dazu sehr direkte, unverschlüsselte Trennungslyrics.
Im direkten Vergleich haben für mich die alten Lieder besser funktioniert, ich hatte aber auch das Gefühl dass wir da schon noch einen Work-in-progress präsentiert bekommen haben. Für mich darf sie auch gerne noch an den Songs feilen, bin allerdings jetzt schon gespannt wie die auf Platte klingen werden.

Eiersalat

2024-01-27 01:29:46

Komme gerade von Berlin. Diese Location ist perfekt gewählt. Es war einfach der Wahnsinn. Der neue Stuff war auch wunderbar, sie war offenbar sehr fleißig, es fühlte sich fast schon vertraut an.
Als Neuerung: Es hat sich jetzt noch ein Saxofon in den Soundteppich eingefunden, der Mann auf der Bühne hat dazu richtig abgeliefert. Unglaublich gute Ergänzung. Am Ende gab's natürlich auch noch die beiden besten Songs von Dead Magic und einen persönlichen Klassiker aus ihrer Anfangsphase. Ich bin und weg. Keine Wünsche offen gelassen.

Dass sie natürlich sich auch gleich im Anschluss Zeit genommen hat, um Platten zu signieren oder einen Plausch zu halten, muss man fast gar nicht erwähnen.
So viel Talent und trotzdem so bodenständig. Schön, dass sie wieder da ist.

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