Team Scheisse - Ich habe Dir Blumen von der Tanke mitgebracht (Jetzt wird geküsst)

SoulForce / BMG
VÖ: 05.11.2021
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Verboten viel love

Obacht, es folgt eine Internet-Aufstiegsgeschichte, die es seit den Arctic Monkeys nie wieder und in Bremen schon gar nicht gegeben hat: KitschKrieg, die beiden sonst für Mainstream-HipHop bekannten Produzenten hinter SoulForce Records, waren gelangweilt von aktueller Musik und haben sich auf Spotify, Bandcamp & Co. auf die Suche nach bisher unentdeckten Juwelen aus dem DIY-Sektor begeben. Durch Zufall, Schicksal oder göttliche Fügung sind sie auf die Bremer Deutschpunks Team Scheisse gestoßen – und haben die Band, die sich tatsächlich zunächst verschaukelt gefühlt hat, von der Straße weg gesignt. Ein Dienst an der Gesellschaft! Denn der nun der breiten Öffentlichkeit zugängliche Longplayer "Ich habe Dir Blumen von der Tanke mitgebracht (Jetzt wird geküsst)", erstes volles Werk der Truppe nach der Demo "8 Hobbies für den sozialen Abstieg", ist gut. Sehr gut sogar.

Das genügsame Trio widmet seine Musik vornehmlich den kleinen Freuden des Lebens: Pfand zurückbringen, mit der Angebeteten "Panzerquartett" spielen oder dem vorschnellen Antworten auf Textnachrichten. All diesen Themen spenden Team Scheisse eine eigene Hymne. "Plastifkflaschen mit Dosen / Sammel' ich auf'm Balkon / Im Supermarkt dann Code nach oben / Ich freue mich schon auf den Bon": Das ist so dermaßen authentisch und von einer entwaffnenden Milieu-Romantik, man bekommt Pipi in die Augen ob der vielbescholtenen Glaubwürdigkeit. Team Scheisse zeigen das echte Leben! Das Trio bloß unter Dosenbier und drei Akkorden abzuheften, greift viel zu kurz.

Team Scheisse können nämlich sogar richtig gut Gitarre spielen. Wenn sie halt gerade Lust haben. Oder auch Bass-Soli kredenzen, wenn es im Bremer Stadtteil "Vegesack" mal ausnahmsweise nicht regnet, so wie sonst. Wenn das "Faustgefühl" stimmt, kann man zu "Ich habe Dir Blumen von der Tanke mitgebracht (Jetzt wird geküsst)" sogar ein bisschen tanzen. Neue Deutsche Welle haben Team Scheisse nämlich auch verstanden. Also vor allem, wie man Reverb auf Gesang und Klampfe legt, damit die eigene Musik als Bonus ihres rohen Garagen-Charmes noch ein bisschen mehr Vibes bekommt. Wenn man dann außerdem noch unwiderstehliche Ohrwürmer wie "Karstadtdetektiv" oder Romantik-Biester wie "Steakhaus" hinbekommt, steht der großen Karriere eigentlich nichts mehr im Weg.

Zu guter Letzt sind Team Scheisse wahre Poeten. Das lyrische Ich fährt in "Frank" in ein Gewehr, das im Schrank der namensgebenden tickenden Zeitbombe sein Dasein fristet, bis es sehr bald knallt. Der grandios-abgründige Text wird zum Alternative Rock von "Drüben auf dem Hügel" von Tocotronic dargeboten, will heißen zu "Where is my mind?" – weil Team Scheisse eben auch musikhistorisch bestens informiert sind und ihr elaborierter Dilettantismus gar mit dem der frühen Tocos mithalten kann. Noch dadaistischer ist "EDK", der beste Ort zum Dancen, wie jeder weiß – zumindest besser dafür geeignet als eine "Disko", in der nur BWL studierende Alman-Andis einen draufmachen. "Verboten viel love!" Und Pöbeleien wie "Du bist so dumm, Du könntest Vorgesetzter sein!" als knapper Zwei Minuten-Faustschlag ins Gesicht von Leistungs- und Klassengesellschaft sowie Büro-Nahrungskette sagen ohnehin mehr als tausend Worte. Der Mainstream braucht endlich wieder mehr Punk, mehr Spaß und doppelten Boden, also herzlichen Dank an KitschKrieg fürs Rekrutieren. Deutschland braucht Team Scheisse.

(Ralf Hoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Erfurt
  • Rein ins Loch
  • Frank
  • Vorgesetzter
  • Steakhaus

Tracklist

  1. Erfurt
  2. Rein ins Loch
  3. Karstadtdetektiv
  4. Vegesack
  5. Faustgefühl
  6. Frank
  7. EDK
  8. Panzerquartett
  9. Vorgesetzter
  10. Helikopterhandmann
  11. Disko
  12. Ungeziefer
  13. 2 blaue Haken
  14. Steakhaus
Gesamtspielzeit: 31:02 min

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saihttam

2023-01-03 19:30:09

Sehr interessante Diskusion hier, Leute! Zum Glück hat es sich vom anfänglichen bloßen Bashing zu etwas tiefgründigerem entwickelt.

Also ich höre Team Scheisse auch sehr gerne, obwohl ich bis dahin nicht viel mit Deutsch-Punk am Hut hatte. So richtig geklickt hat es aber auch erst nach dem ersten Live-Erlebnis auf dem Maifeld Derby. Die vielen, sehr guten Konzerte haben sicherlich wie schon oben beschrieben zu einem noch größeren Anstieg der Popularität der Band geführt. So hab ich in meinem Freundeskreis auch ordentlich Werbung für die Band gemacht. Einen gewissen Hype um die Band habe ich schon auch wargenommen. Finde aber nichts schlimm daran.

Zur Frage, warum ich nun nicht tiefer in das Genre eintauche. Sicherlich spielt das von Gordon beschriebene Zeitproblem eine große Rolle. Es gibt einfach so viele Genres, die ich spannend finde und dazu kommt noch die neue Musik von mir schon bekannten Künstlern, die ich ja auch hören will und mit der ich schon nicht hinterher komme. Da bleibt einfach oft nicht viel Zeit, um tiefer zu schürfen, als das, was gerade aus welchen Gründen auch immer in den Indie-Mainstream gespült wird.
Darüber hinaus habe ich tatsächlich versucht mich ein bisschen tiefer in aktuellen Deutsch-Punk einzuhören. Auch in die oben genannten Mühlheim Assozial, dazu zum Beispiel noch Oidorno, Deutsche Laichen, Mercedes Jens, Pogendroblem und was mir Spotify noch so daraufhin vorgeschlagen hat. Sicherlich gibt es andere Möglichkeiten besser in das Genre einzutauchen, aber so war es nun mal am einfachsten. Und ich muss sagen, dass die Songs von Team Scheisse dann doch am meisten hängengeblieben sind. Da sind einfach so viele Hits und catchy Momente drauf. Und das ist halt das, was dann auch ungeübte Hörer am ehesten anspricht. Die anderen Bands haben auch Spaß gemacht, aber um sie wirklich öfters zu hören oder noch mehr zu entdecken, mag ich halt andere Genres doch lieber. Deshalb bleibt man dann auch an der Oberfläche hängen. Es gibt ja sicherlich auch klassische Indie-Rock-Bands, die Punk oder Hardcore-Hörer ab und zu ganz gerne hören, ohne dass sie die Fülle an Bands kennen, die Gordon und ich vielleicht mögen.

Werde aber versuchen auch mal in die von Rochen genannten Bands reinzuhören, um mir wirklich eine Meinung dazu zu bilden.
Und der Erfolg von einzelnen Bands aus Sparten-Genres hilft sicherlich auch den kleineren und vielleicht in den Ohren der Genre-Experten besseren Bands. So war ich dieses Jahr auch noch spontan auf zwei, drei weiteren Punk-Konzerten von Bands, die ich nicht kannte und zu denen ich ohne Team Scheisse sicherlich nicht gegangen wäre.

Der Wanderjunge Fridolin

2023-01-03 15:02:23

"...den fand ich, nun ja, scheisse..."

:D

Das ist alles kein Problem. War nur ein wenig Brsinstorming und selbstredend kann man das auch anders sehen. Was das Zeitbudget angeht, das Problem kenne ich natürlich und es existiert real. Irgendwo muss man immer kürzer treten. Bei mir ist das eher die Flut der Neuveröffentlichungen, weswegen ich dann dort vieles verpasse. Auch nicht gut.

Gordon Fraser

2023-01-03 14:52:30

Ist halt auch ein Zeitproblem. Ich komme mit den zwei, drei Genres, die mich WIRKLICH interessieren, schon kaum hinterher, was aktuelle Veröffentlichungen angeht. Wie soll man da noch in andere Genres intensiv eintauchen? Turnstile ist ein gutes Beispiel - ich kannte die vor dem aktuellen Durchbruch nicht und finde nach oberflächlicher Sichtung des Backkatalogs auch nix, was mich anspricht, aber ich höre die "Glow On" trotzdem gerne. Und bei Team Scheisse habe ich mal in einen Song reingehört, den fand ich, nun ja, scheisse, weshalb ich von einer näheren Beschäftigung mit der Band Abstand genommen habe. Ist das oberflächlich? Klar. Aber anders geht's halt nicht.

Der Wanderjunge Fridolin

2023-01-03 14:42:30

Sagen wir es mal so. Ein unmittelbares Problem habe ich damit nicht. Das einzige, was mir da in den Sinn kommt, ist vielleicht der Umstand, dass das Fundament eines Genres in aller Regel nicht durch die bekannten Bands getragen wird. Bleiben wir mal beim Hardcore. Turnstile sind lediglich (in einem nicht abwertenden Sinne gemeint) eine extreme Ausprägung nach oben. Extrem nicht in Bezug auf die Musik sondern auf die Popularität. Das Fundament des Genres besteht aus den zahlreichen kleinen Bands, die es auch dann noch geben wird, wenn die großen Bands nicht mehr existieren. Das finde ich durchaus schade, wenn ich so darüber nachdenke. Und wenn man Z4 mal kurz ernst nimmt (ich weiß, er trollt nur), dann könnte man ihn auch als ein Beispiel heranziehen für das, was passiert, wenn man sich nur sehr oberflächlich oder gar nicht mit dem beschäftigt, was eigentlich hinter der großen Band steckt, die man gerade hört, weil sie plötzlich in allen Magazinen steht. Die Geschichte und die Seele eines Genres nimmt man so wohl eher nicht wahr.

Klaus

2023-01-03 14:29:42

Okay, aber wenn das weder für dich noch andere ein Problem ist/sein soll, dann machst du dich auch nicht unbeliebt. Das ist dann halt so. Nur die Bezeichnung als "Mainstream" ist ja noch nix böses. Das es dich wundert, warum es ausgerechnet die sind: Das Gefühl gibt es ja öfter. Warum ist band xy so groß und warum hört die (subjektiv) gleich gute/bessere Bands X kein Mensch. Manchmal einfach richtige Zeit am richtigen Ort...

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